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Das war auchHöchststrafefür Högel

Högel habe die Würde der Menschen und ihrer Angehörigen mit Füßen getreten

Schuldig in 85 Mordfällen. So lautet das Urteil gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel. Das Landgericht Oldenburg hat gegen ihn am Donnerstag eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Högel ist wegen sechs weiterer Taten bereits verurteilt, an seinem Strafmaß ändert dieses neue Urteil nichts. Es kann aber den Angehörigen der Opfer vielleicht etwas Frieden bringen.

Zwischen den Jahren 2000 und 2005 hat Högel Patient*innen in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst nicht verordnete Kreislaufmedikamente gespritzt. Er wollte sich bei den deshalb eingeleiteten Reanimationen profilieren. Viele Menschen starben.

Die Würde der Menschen und ihrer Angehörigen habe Högel mit Füßen getreten, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann in seiner Urteilsverkündung. „Ihre Taten sind unbeschreiblich. Es sind so viele, dass der menschliche Verstand kapituliert.“

Högel war wegen einhundertfachen Mordes angeklagt. Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer eine Verurteilung wegen 97 Morden gefordert, die Verteidigerinnen für Mord oder versuchten Mord in 69 Fällen plädiert. In der Urteilsfindung stützte sich das Gericht besonders auf die Gutachten der medizinischen Sachverständigen. Sie hatten die Krankenakten der Verstorbenen analysiert und in jedem einzelnen Fall darüber Auskunft gegeben, wie wahrscheinlich diese Person vergiftet wurde. Högel hatte 43 Taten gestanden.

In 15 Fällen reichte die Beweislage nicht für eine Verurteilung. Richter Bührmann bedauerte, den Hinterbliebenen keine Gewissheit geben zu können. Bei keine*m dieser 15 Verstorbenen könne das Gericht mit Sicherheit sagen, dass Högel sie nicht ermordet habe.

Das verdeutlicht, wie schwierig die Wahrheitsfindung in dem Prozess war und dass es vermutlich noch viel mehr Opfer gibt. Weil die Ermittlungen so lange verschleppt wurden, wurden Beweise vernichtet. Högel ist laut Gutachter ein kompetenter Lügner. Vermutlich wird Högel noch einmal vor Gericht erscheinen müssen. Vier seiner ehemaligen Kolleg*innen aus Delmenhorst sollen wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt werden. Und Högel wird wohl ein Zeuge sein. Gegen andere Kolleg*innen aus Oldenburg laufen Ermittlungen wegen desselben Vorwurfs oder Meineids. Marthe Ruddat

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