Das politische System Lesothos: Der lange Weg zur Reform
Die Verfassung des afrikanischen Königreichs Lesotho muss dringend überarbeitet werden. Dafür sollte sich das Land genug Zeit nehmen.
Der Mpilo Hill hat eine flache Spitze und bietet einen atemberaubenden Blick auf das geschäftige Maseru, die Hauptstadt von Lesotho. Am Fuße des Hügels erhebt sich der steinerne Justizpalast, das wichtigste Gerichtsgebäude des Landes, in dem sich auch das Berufungsgericht befindet. Lesotho ist eine kleine, von Südafrika eingeschlossene, konstitutionelle Monarchie, in der gut zwei Millionen Menschen auf einer Fläche leben, die kleiner als das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen ist.
Am 17. November 2023 stand im Justizpalast am Mpilo Hill eine wichtige Entscheidung an. Denn ich persönlich hatte vor dem Berufungsgericht gegen die Verabschiedung eines Gesetzespakets geklagt, das als „Omnibus Constitutional Bill“ bekannt ist und das eigentlich den politischen Reformprozess in Lesotho voranbringen soll.
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Mein Name ist Kananelo Boloetse, ich bin Journalist und Bürgerrechtler. Ich sah es als notwendig an, gegen das Gesetz in der vorliegenden Form zu klagen. Dass das politische System Lesothos reformiert werden muss, steht dabei außer Frage. Immer noch ist zum Beispiel das „Floor crossing“ (deutsch etwa: „Überqueren des Fußbodens“ – im Sinne von die Seite wechseln) bei uns gang und gäbe. Darunter versteht man die Möglichkeit, dass Parlamentsabgeordnete die Partei wechseln und dabei ihren Sitz behalten können. Das öffnet Korruption natürlich Tür und Tor – und es ist wenig verwunderlich, dass Lesotho auf dem Korruptionsindex von Transparency International von 2022 im hinteren Mittelfeld auf Platz 99 von 180 Staaten landete.
Doch in meinen Augen ist es wichtig, welche Reformen wie umgesetzt werden und wer daran beteiligt wird.
Ein Plan für Verfassungsreformen im Gange
Zum besseren Verständnis muss ich etwas ausholen: Schon 1970 kam es zu einem ersten Staatsstreich, es folgte eine Ära der Zwangsherrschaft, bis 1986 das Militär putschte. Erst mit den Wahlen von 1993 änderte sich das. Doch auch nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung blieben Unzugänglichkeiten, etwa was die Unabhängigkeit der Justiz betraf oder die Wirksamkeit des Parlaments, die Exekutive zur Rechenschaft zu ziehen. 2014 gab es einen weiteren Putschversuch, politische Morde und Turbulenzen.
Die SADC (Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika) und die internationale Gemeinschaft unterstützten Reformen – nicht zuletzt um den Einfluss des Militärs auf die Politik zu begrenzen und die gewalttätigen Sicherheitskräfte zu bändigen. Nach den Wahlen 2017 legte die Regierung einen Fahrplan für Verfassungsreformen vor. Doch es gab berechtigte Kritik an dem Top-down-Vorgehen: Mangelnde Inklusivität und ein elitärer Unterton wurden bemängelt, eine Vielzahl von Interessengruppen war nicht berücksichtigt worden. Immerhin wurde danach ein nationaler Dialog eingeleitet und eine Versammlung mit über 800 Personen einberufen, die erheblich mehr gesellschaftliche Stimmen abbildete.
Doch 2022 kam alles anders: Eigentlich sollte erst das inzwischen ausgearbeitete Omnibus-Gesetz beschlossen und dann das Parlament aufgelöst werden, um Neuwahlen zu ermöglichen. Doch das scheiterte und am Ende erklärte das Verfassungsgericht das ganze Gesetzespaket für nichtig.
Die Versuche, es zu verabschieden, gingen allerdings weiter – auch weil die EU und die UN allein mit ihrem Lesotho National Dialogue and Stabilization Project (LNDSP) seit 2018 dankenswerterweise rund 15 Millionen US-Dollar in die Umsetzung des Reformprozesses investiert haben – und nun Ergebnisse sehen wollen.
Sakoane Sakoane, Oberster Richter Lesothos.
„Das Königreich Lesotho befindet sich jetzt in einem bedeutenden Moment,“ sagte Nessie Golakai-Gould, die Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms UNDP in Lesotho, als das Omnibus-Gesetz das Parlament erreichte. Das gebe Hoffnung für einen „Aufbruch für die Justiz und Lesotho“. Man wolle dazu beitragen, ein „rechenschaftspflichtiges Justizsystem“ aufzubauen, das eine entscheidende Komponente für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung darstelle, so Golakai-Gould.
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Die EU-Botschafterin Paola Amadei sagte, der EU sei zu Unrecht vorgeworfen worden, Lesotho „ausländische Richter“ aufzuzwingen, als sie die Aufarbeitung des versuchten Staatsstreichs 2014 unterstützte. Dabei habe die Regierung Lesothos zugestimmt, ausländische Richter aus der SADC-Region mit der Leitung der Verfahren zu betrauen – und die EU hatte für diese gezahlt. Nun aber gehe es vor allem darum, die Rechtsprechung für alle Menschen in Lesotho zu verbessern, sagte Amadei. Der Zugang zu einer starken, effizienten und unparteiischen Justiz sei „der Eckpfeiler einer funktionierenden Demokratie“.
Doch im Laufe des Reformprozesses wurden am Omnibus-Gesetz-Entwurf Änderungen vorgenommen, die meines Erachtens nicht hinnehmbar sind: So wurden etwa Bestimmungen zum Schutz der Pressefreiheit und des Rechts auf Zugang zu Informationen gestrichen. Daraufhin habe ich die Verabschiedung des Gesetzes rechtlich angefochten.
Am 17. November 2023 wurde das Urteil zum Omnibus-Gesetz schließlich vom Berufungsgericht Lesothos verkündet – und tatsächlich entschieden die Richter, dass die Umsetzung des Gesetzes rückgängig gemacht werden muss. Ich halte das für einen großen Erfolg.
Gegenwärtig versucht die im Oktober 2022 gewählte Regierung unter dem neuen Premierminister Sam Matekane, das Gesetzgebungsverfahren wiederaufzunehmen – jedoch ohne die Änderungsanträge zur Pressefreiheit und zum Zugang zu Informationen. Ich bin darum der Meinung, dass das Parlament das Verfahren ganz neu einleiten sollte.
Manche Experten teilen meine Auffassung – und begrüßen die Entscheidung des Berufungsgerichts. Hoolo 'Nyane, Professor für Verfassungsrecht an der Limpopo-Universität in Südafrika, nennt dies „Glück im Unglück“, denn nun habe das Land die seltene Gelegenheit, gründlich über seine Verfassung nachzudenken. Ähnlich sieht es der Sakoane Sakoane, oberster Richter Lesothos. Für ihn liegt ein Teil des Problems darin, dass der Reformprozess Lesothos „geberorientiert“ sei – und die internationalen Geber die Reformen möglichst zügig umsetzen wollen. Nur sei das nicht unbedingt unser eigenes Interesse. So fragt auch Sakoane: „Warum haben wir es so eilig? Wen wollen wir damit beschwichtigen?“ Er betont zu Recht, dass das Volk Urheber jeder Verfassung sein muss, während Gesetze von den politischen Repräsentanten ausgearbeitet werden. „Die Verfassung gehört dem Volk“, sagt Sakoane.
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