: Das ganz große Aufgebot
Flüchtlinge Die Große Koalition beschließt ein neues Integrationsgesetz und feiert es selbst als „historisch“. Es sieht Sanktionen gegen Flüchtlinge vor, die gegen Auflagen verstoßen – und 100.000 geförderte Jobs
von Daniel Bax und Ulrich Schulte
Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sind Gabriel wichtig, sehr wichtig. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik bekomme das Land ein Integrationsgesetz, sagt Gabriel. „Das ist ein historischer Schritt“, behauptet er. In ein paar Jahren, sagt Gabriel, werde dieses Gesetz als Einstieg in ein modernes Einwanderungsgesetz gelten. „Wir wollen integrierte, stolze Menschen – keine zwangsassimilierten, ängstlichen Integrationssimulanten.“ Und Parteitagsrede? „Wenn’s so war, ist’s gut.“
Neben Gabriel lauscht Angela Merkel der Selbstdarstellung des Vizekanzlers mit ungerührter Miene – so schnell rutscht ihr kein Schmunzeln ins Gesicht. Horst Seehofer starrt ins Leere, müde und grau, das Kinn vorgeschoben. Auch drei Minister haben vor der blauen Medienwand im Kanzleramt Platz genommen: Heiko Maas und Andrea Nahles von der SPD, Thomas de Maizière von der CDU. Das ist das ganz große Aufgebot. Eine sorgfältig inszenierte Harmonieshow, mit der die Große Koalition beweisen will, dass sie noch gut zusammenarbeitet.
Der Streit über die Flüchtlinge hätte sie beinahe gesprengt, nur wenige Wochen ist das her – doch nun sind alle ein Herz und eine Seele, echte Staatsfrauen und -männer eben. Auch Seehofer preist das Integrationsgesetz, als sei es immer ein Herzensanliegen der CSU gewesen. Merkel umreißt den Zustand der Koalition cool wie immer: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir die Zusammenarbeit fortsetzen.“
In der Nacht zum Donnerstag hatten sich die Koalitionsspitzen auf die Eckpunkte für ihr Integrationsgesetz geeinigt. Nach siebenstündigen Beratungen im Kanzleramt vereinbarten Union und SPD zudem ein Paket zur Terrorabwehr (siehe Text unten). Weitere Streitthemen wurden vertagt.
Beim Integrationsgesetz orientiere sich die Koalition am Grundsatz des „Förderns und Forderns“, heißt es im Papier. Auf der einen Seite steht ein Arbeitsmarktprogramm. So sollen 100.000 zusätzliche Jobs aus Bundesmitteln geschaffen werden, darunter vermutlich viele 1-Euro-Jobs. Auch sollen Flüchtlinge für die Dauer einer Ausbildung eine Aufenthaltsgarantie erhalten und eine Bleibeerlaubnis für weitere zwei Jahre, wenn sich eine Beschäftigung anschließt. Auch die Vorrangprüfung soll nun erst mal wegfallen. Bisher dürfen Flüchtlinge nur dann eine Stelle antreten, wenn Einheimische oder andere Europäer sie nicht wollen. Auch als Leiharbeiter dürfen sie künftig angestellt werden.
Auf der anderen Seite setzt die Koalition ein paar Daumenschrauben an, das Stichwort lautet „Mitwirkungspflichten“. Wer Integrationsmaßnahmen ablehnt oder abbricht, muss mit Sanktionen rechnen. Auch Flüchtlinge, die bereits über einfache Deutschkenntnisse verfügen, sollen zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet werden. In diesen Kursen soll die „Wertevermittlung“ auf Wunsch der CSU künftig eine stärkere Rolle spielen. Die entsprechenden Unterrichtsstunden sollen von 60 auf 100 erhöht werden. Die Wartezeit auf einen Integrationskurs soll dafür von drei Monaten auf sechs Wochen verkürzt werden.
Anerkannte Flüchtlinge sollen nur dann ein Daueraufenthaltsrecht erhalten, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, was Sprachkenntnisse, Ausbildung oder Arbeit betrifft. Auch wird ihnen der Wohnort zugewiesen, angeblich, um „soziale Brennpunkte“ zu vermeiden. Wer gegen diese Auflage verstößt, dem drohen „spürbare Konsequenzen“.
Diese Eckpunkte sollen am 22. April auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten erörtert werden. Am 24. Mai will das Kabinett den Gesetzentwurf dann auf der jährlichen Klausurtagung in Meseberg beschließen.
Lob für die geplanten Maßnahmen kam aus der Wirtschaft, vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag und dem Verband der Familienunternehmer. Auch die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Caritas und Diakonie, begrüßten sie grundsätzlich, die geplanten Leistungskürzungen lehnen beide Verbände aber ab.
Scharfe Kritik kam von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl: „Es gibt ein Angebotsdefizit der Bundesregierung, nicht einen Integrationsunwillen der Flüchtlinge“. Auch die geplante Wohnsitzauflage sei falsch: „Jobs findet man aus der Nähe, durch Netzwerke und direkte Kontakte“, so Geschäftsführer Günter Burkhardt.
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