Das bleibt von der Woche (2): Nur Rosinen picken geht nicht
Die Grünen waren noch nie für das Innenressort zuständig. In Berlin könnte sich das demnächst wohl ändern – die Grünen müssten bloß wollen.
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Innen Minister, außen grün. So ließe sich ein Spruch umkehren, mit dem Joschka Fischer zu seiner Zeit als Außenminister für sich warb. Mitregiert, sogar den Chef gestellt haben die Grünen inzwischen öfter. Nicht nur Außen-, auch Finanz- und Wirtschaftsminister waren sie in diversen Bundes- oder Landesregierungen. Bloß für das Innenressort waren sie noch nie zuständig. In Berlin könnte sich das bei den mutmaßlich kommende Woche startenden Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linkspartei ändern – die Grünen müssten bloß wollen.
Doch auch 36 Jahre nach Grünen-Gründung schreckt in der Partei mancher vor dieser Aussicht zurück. Die Grünen könnten nur verlieren, heißt es dann, wenn sie künftig für Abschiebungen verantwortlich wären, für Häuserräumungen oder nicht ganz so friedlich verlaufende 1.-Mai-Einsätze. Ein Parteienforscher riet ihnen am Mittwoch in der taz ausdrücklich, sich auf ihre ökologische Kernkompetenz zu konzentrieren.
So kann man argumentieren. Dann allerdings verabschiedet man sich von dem Anspruch, über Umweltthemen hinaus ernst genommen zu werden. Die Grünen wären nicht viel mehr als der parlamentarische Ableger der Umweltverbände BUND und Nabu. Damit sprächen sie sich selbst das Recht ab, darüber hinaus mitzureden und Forderungen in der Innenpolitik stellen zu können. Denn wer kritisiert, muss auch zeigen, wie es besser gehen könnte.
Zum anderen gibt es in einer Regierung so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung auch für das, was in den von den Koalitionspartnern geführten Ministerien oder Senatsverwaltungen passiert. Zusammen regieren – und zwar mit dem Anspruch, dass das auf Augenhöhe passiert –, aber bei unangenehmen Entscheidungen stets die Wasserschale fürs zum Hände-in-Unschuld-Waschen in Reichweite haben, das geht nicht lange gut.
Wirklich sorgen müssten sich die Grünen kaum
Wenn man aber die Entscheidungen anderer Senatoren ohnehin mitträgt und dafür mit in Haftung kommt, dann kann man auch gleich selbst den Innenminister stellen. Volker Ratzmann, der 2011 fast grüner Innensenator geworden wäre und heute baden-württembergischer Staatssekretär ist, war am Dienstag allerdings skeptisch, dass sich eine solche realistische Betrachtungsweise unter Berliner Grünen durchsetzt.
Behält er recht, hieße das auch, dass die Grünen sich ab sofort eigentlich mit allen Mitteln dagegen wehren müssten, nächstes Mal stärkste Partei zu werden und den Regierungschef stellen zu müssen. Denn der ist tatsächlich für alles verantwortlich. Doch wirklich sorgen müssten sich die Grünen deshalb kaum: Wer sich nur die Rosinen rauspickt, wird über die Rolle eines Juniorpartners und Erfüllungsgehilfen sowieso nicht hinauskommen.
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