Das Weltbild der Fans von Ken Jebsen: Wenn Linke nicht mehr links sind
Die politische Linke lebt von ihrer Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Wo sie nur in Feindbildern denkt, hört sie auf zu sein.
S ie singen die Internationale, verleihen Preise mit Karl-Marx-Konterfei, schwenken Fahnen mit der Friedenstaube, ganz klar, das müssen Linke sein. Angesichts dieser Insignien gibt es eigentlich keine Zweifel an der politischen Gesinnung derjenigen, die am vergangen Donnerstag in und vor dem Kino Babylon zusammengekommen sind. Die Fans des Medienmachers Ken Jebsen, die einer Preisverleihung an den „mutigen Journalisten“ beiwohnen und zuvor demonstrieren wollten, betrachten sich als „Friedensbewegung“ und Verteidiger der Meinungsfreiheit.
Es gibt keine Zweifel, dass sie sich selbst als Linke sehen. Wie überhaupt, Zweifel dieser „Bewegung“ ziemlich fremd sind. Sie sind die Guten, die Unverstandenen, die Kleingehaltenen. Und auch die Rollen der Bösen sind vergeben: Es sind die etablierten Medien, von den GEZ-Sendern bis zur Jungen Welt, die USA und Israel, die politischen Parteien und das parlamentarische System, und im konkreten Fall Kultursenator Klaus Lederer (Linke). All die, soviel ist klar, stehen im Dienste der Waffenlobby und der Nato.
Es ist ein Glück für die Bewegten, dass sie linke Kronzeugen haben, Mitglieder der Partei Die Linke, wie der Exabgeordnete Wolfgang Gehrcke, die mit ihnen solidarisch sind – noch so ein linker Wert. Oder Oskar Lafontaine, der ihnen beisteht mit seinem Verdikt „Begriffe wie ,Verschwörungstheoretiker' oder auch ,Querfront‘ stammen aus dem Arsenal der Geheimdienste“. Kritik erkannt, Kritik gebannt.
Doch genau hier offenbart sich das Problem der Szene: Die verlorene Fähigkeit komplexe Zusammenhänge zu erkennen und die Verhältnisse angesichts systeminhärenter Prozesse zu bewerten. Politische Entscheidungen fallen nicht allein deshalb, weil die Mächtigen böse sind. Und sie fallen nicht, weil die eigentlich Mächtigen dunkle Gestalten im Hintergrund sind. Nicht jeder Feind des eigenen Feindes kann ein Freund sein.
Wo dieses Differenzierungsvermögen verloren geht, wo die Welt nur noch hell oder dunkel ist und Widersprüche ausgeblendet werden, löst sich der Abstand zwischen links und rechts und die moralische Überlegenheit der politischen Linken auf. Da helfen auch die schönen Insignien nichts.
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