Das Verhältnis zwischen Polen und Ukraine: Die schwere Last der Vergangenheit
Die komplizierte Nachbarschaft wird durch die Fußball-EM nicht einfacher. Schwierig sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schon länger – ein Überblick.
WARSCHAU taz | Als immer mehr Politiker in Westeuropa mit dem Boykott der Fußballeuropameisterschaft in der Ukraine drohten, brach der Regierung in Polens Hauptstadt Warschau der Angstschweiß aus. Immerhin organisierten sie mit den Ukrainern die EM. Fünf Jahre hatte man alle Kraft und viel Geld in das Prestigeprojekt gesteckt. Nun sollte es kurz vor der Premiere vom politischen Spielplan gestrichen werden?
Hinter den Kulissen startete Polens liberal-konservativer Premier Donald Tusk eine diplomatische Offensive. Dabei musste er seine Partner im Westen davon überzeugen, dass er die Politik des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ebenso wenig billigte wie diese. Dass er aber als Kogastgeber der EM Kiew nicht vor den Kopf stoßen konnte.
Andererseits musste Tusk in Kiew vorsichtig gegensteuern. Es liegt im Interesse Polens, den Nachbar in die Strukturen von Nato und EU einzubinden. Mit einem Staat, dessen Politiker die Menschenrechte verletzen, ist das nicht möglich.
Schwierig sind die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine aber nicht erst seit dem Machtantritt von Janukowitsch. 2013 steht beiden Ländern mit dem 70. Jahrestag des ukrainischen Massakers an der polnischen Zivilbevölkerung 1943 in Wolhynien eine Bewährungsprobe bevor. 1947 vertrieben Polens Machthaber in der „Aktion Weichsel“ die ukrainische Minderheit aus ihrer Heimat Galizien und siedelten sie in Masuren, Pommern und Schlesien an.
Verbindendes
Dabei gibt es zwischen Polen und der Ukraine nicht nur Trennendes, sondern auch Gemeinsames. So ergriffen Polen, das sich 1989 aus dem Ostblock löste, und die Ukraine, die 1991 ihre Souveränität erklärte, die Chance, ihre Beziehungen neu und gut nachbarschaftlich auszurichten. Doch es fehlte eine Vision. Erst mit dem ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma und seinem polnischen Amtskollegen Alexander Kwasniewski kam es zu einer „strategischen Partnerschaft“, die die USA als Gegengewicht zum politisch erstarkenden Russland förderten.
Eine Schlüsselrolle im Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern spielt bis heute das westukrainische Lwiw, das von den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert bis 1918 Lemberg hieß und unter der Herrschaft Österreichs stand, danach bis 1939 eine polnische Kulturmetropole mit dem Namen Lwow war und erst nach dem Zweiten Weltkrieg – in der Ukrainischen Sowjetrepublik – zu einer mehrheitlich von Ukrainern bewohnten Stadt wurde.
Doch ohne die ostgalizische Stadt ist Polens Geschichte als Vielvölkerstaat undenkbar. So gilt Lemberg (Lwiw/Lwow) als Wiege des polnischen, polnisch-jüdischen und ukrainischen Fußballs. Pogon Lwow, Hasmonea und Sokil Bat’ko hießen die legendären Klubs der ersten Stunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin