Das System des Bahn-Chefs: Mehdorn außer Kontrolle
Bespitzeln, verheimlichen, vertuschen: Seit Hartmut Mehdorn Bahn-Chef ist hat sich eine bizarre Unternehmenskultur entfaltet. Darunter leiden Mitarbeiter, Kunden und Politiker.
Hochmut war nicht der einzige Fehler, der die Stadt Babylon und ihr hochtrabendes Projekt des Turmbaus zu Fall brachte. Zumindest die Verfasser der alttestamentarischen Schriften sahen im sündigen Babel den Hort aller menschlichen Fehler und Schwächen. Bestimmt gehörten Korruption und Lüge dazu. Und vielleicht haben die Väter des Projektes "Babylon" tatsächlich daran gedacht und nicht an hohe Türme oder mangelhafte Kommunikation.
Mit einem speziellen Computerprogramm und den Informatikern der Network Deutschland GmbH wollte die Konzernrevision der Deutschen Bahn AG aufräumen im eigenen Korruptionssumpf. Und so ließen sie von 1998 bis 2007 immer wieder die elektronischen Detektive an die firmeninternen Daten heran.
Und das Unternehmen Network hatte Erfolge. Nach dem Abgleich von Namen und Adressen schienen 125 Datenpakete verdächtig, bei ihnen wurden auch Kontonummern und Kreditinstitute gecheckt, im nächsten Schritt Bank- und Telefonverbindungen. Am Ende wurden dann aus den Daten wieder Bahn-Mitarbeiter, wie zum Beispiel der Gebäudemanager, der immer die gleiche Putzkolonne ins Haus holt, weil dieser Reinigungsdienst ihm gehört. Oder der für die Pflege von Betriebsflächen zuständige Mann, der für seinen Job doppeltes Gehalt kassierte. Der Verdacht des Betruges schien sich zu erhärten. Klingt nach Kleinvieh, macht aber viel Mist, wie man bei der Bahn erklärt. Allein durch diese beiden Fälle sei ein Schaden im mittleren sechsstelligen Bereich entstanden.
Eigentlich müsste man froh sein, dass die Deutsche Bahn, die noch immer dem Staat und damit dem Steuerzahler gehört, solchen Betrugs- und Korruptionsfällen nachgeht. Doch wie schon beim Turmbau wurden auch beim Bahn-Projekt "Babylon" die Verhältnisse nicht gewahrt. Rund 173.000 Mitarbeiter und damit die komplette Belegschaft des Geschäftsfeldes Eisenbahn wurden durchleuchtet - nicht nur die, die für millionenschwere Etats zuständig sind, sondern auch Schaffner, Fahrkartenverkäufer und Lokführer. Und es ging nicht immer nur um das hehre Ziel, Korruption zu verhindern.
1999: Unter der Maßgabe, ein defizitäres Staatsunternehmen in einen modernen, privaten Dienstleistungsanbieter zu verwandeln, tritt Hartmut Mehdorn als Chef der Deutschen Bahn an.
2002: Die Bahn führt ein neues Tarifsystem ein. Dies führt zu Chaos, jedoch verteidigt Mehdorn das Vorhaben vehement.
2003: Nach anhaltender Kritik, Verlusten und sinkenden Fahrgastzahlen wird das Tarifsystem geändert, zwei Vorstände werden gefeuert. Mehdorns Vertrag wird vorzeitig bis 2008 verlängert.
2004: In einem Brief an BDI-Chef Rogowski beschwert sich Hartmut Mehdorn über polemische Äußerungen verschiedener Politiker. Diese fordern eine Entschuldigung, Mehdorn kommt dem nicht nach.
2006: Die Deutsche Bahn AG lehnt es ab, die Wanderausstellung "Sonderzüge in den Tod" über Deportationen im Dritten Reich auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen. Nach öffentlichem und politischem Druck ändert Hartmut Mehdorn seine Meinung.
2007: Der Tarifstreit der Bahn mit der Lokführergewerkschaft GdL beginnt. Er dauert rund ein Jahr und bringt den Bahnverkehr wegen der Lokführerstreiks bundesweit fast zum Erliegen.
2008: Die Bahn gibt zu, eine Firma mit der Bespitzelung von Bahn-Mitarbeitern beauftragt zu haben. Das Unternehmen versucht die Vorwürfe herunterzuspielen - hochrangige Mitarbeiter berichten dagegen von einem System der Einschüchterung.
2008: Es wird bekannt, dass der Vorstand der Bahn im Falle eines Börsenganges Boni in Millionenhöhe bekommen soll. Die Bundesregierung fordert Mehdorn zum Verzicht auf. Er bleibt aber stur und lenkt nicht ein.
2008: Die Bahn gibt zu, technische Probleme mit den Achsen mehrerer ICE-Züge zu haben. Mehdorn informiert die Öffentlichkeit erst nach Monaten über das ganze Ausmaß.
2008: Die Konzernspitze der Bahn kündigt einen Aufschlag von 2,50 Euro für den Kauf von Fahrkarten am Schalter an. Erst nach heftiger Kritik und einem Anruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel werden diese Pläne gestoppt.
2009: Es wird bekannt, dass die Bahn mehr als 170.000 Bahn-Mitarbeiter ausgespäht hat. Die Kritik an Mehdorn über seine Informationspolitik der Bahn AG nimmt zu.
STEFAN SPIEGEL
Neben "Babylon" listet ein internes Gesprächsprotokoll des Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix, der die Vorgänge untersucht hat, neun Projekte auf, die Network für die Bahn abwickelte. Darunter auch das Projekt "Uhu", bei dem nach einem Mitarbeiter gesucht wurde, der Hartmut Mehdorn unter falschem Namen beim Finanzamt der Steuerhinterziehung bezichtigte. 40 Mitarbeiter wurden überprüft, zudem übermittelte man zahlreiche E-Mails der Betroffenen an Network. Dazu gehörte auch der Schriftverkehr mit dem Betriebsrat. So dokumentieren es zumindest die Aufzeichnungen der Berliner Datenschützer.
Die wundern sich darüber, dass alle Aufträge an Network mit einem Gesamtvolumen von 800.000 Euro vergeben wurden - und das nur mündlich. "Mafia-Methoden" nennt das der Verkehrsexperte Winfried Hermann von den Grünen. Seiner Meinung nach ging es bei den Aktionen vor allem um "das System Mehdorn", das auf "Misstrauen und Einschüchterung" basiere. Was aber Hermann und viele andere Verkehrspolitiker im Bundestag mindestens genauso aufregt, ist der "respektlose Umgang mit dem Eigentümer", den Mehdorn und seine Abgesandten wieder einmal an den Tag legten. Denn als am vergangenen Mittwoch der oberste Korruptionskämpfer der Bahn, Wolfgang Schaupensteiner, vor den Abgeordneten des Verkehrsausschusses über die aktuelle Datenaffäre Auskunft geben sollte, gingen alle Beobachter noch von den 1.500 Überprüfungen aus. Erst auf die Nachfrage eines Abgeordneten nannte Schaupensteiner die tatsächliche Zahl der Überprüfungen. Überhaupt habe man dem Anwalt "jedes Wort aus der Nase ziehen müssen", hieß es nach der nichtöffentlichen Sitzung. Die Abgeordneten gaben dem Korruptionsbekämpfer entsprechend einen Katalog mit 60 Fragen mit, den dieser bis zur nächsten Sitzung am Mittwoch kommender Woche beantworten soll.
Spätestens dann wird es auch um die Frage gehen, was Mehdorn genau mit alldem zu tun hat. Der hat sich zwei Tage Zeit gelassen, bis er sich zu den Vorwürfen äußerte. Und dann sagte er: Der Chef habe nichts gewusst, schließlich kümmert der sich nicht um solche Kleinigkeiten. Aber Gesetze seien nicht gebrochen worden und die Bahn würde in Zukunft wieder genauso agieren. Zudem holte sich Mehdorn den Staatsanwalt ins Haus, damit er die Dinge aufklärt - was gleichzeitig ihm und anderen die Möglichkeit gibt, mit Hinweis auf ein schwebendes Verfahren allen Fragen auszuweichen.
Ein Befreiungsschlag war das nicht. Im Gegenteil: Nicht nur die ewigen Mehdorn-Kritker, Grüne und FDP, forderten mal wieder alles Mögliche von Mehdorn. Auch eine graue Eminenz wie SPD-Fraktionschef Peter Struck ging auf Konfrontationskurs und forderte eine Entschuldigung. Ein Warnsignal für Mehdorn, denn er hat nicht mehr viele Freunde. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der ja nach der Affäre um die Boni-Zahlungen noch eine Rechnung mit Mehdorn offen haben dürfte, kritisierte jeden Tag lauter den Bahn-Chef und bekam Rückendeckung aus dem Kanzleramt. Hinzu kommt: Die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA setzten eine Sondersitzung des Aufsichtsrates durch. Das Szenario ist klar: Wenn die Arbeitnehmer und die SPD-Leute dort gegen Mehdorn stimmen, dürfte er nicht mehr zu halten sein. Dann könnte sich jeder im Wahljahr damit schmücken, den ungeliebten Bahn-Chef verjagt zu haben.
Der Bahn-Chef musste reagieren. Am Dienstag räumte er gegenüber seinen Mitarbeitern "falsch verstandene Gründlichkeit" ein. "Aus heutiger Sicht waren wir hier übereifrig." Wird das reichen? Wohl kaum. Um einen Auftritt im Verkehrsausschuss des Bundestages wird Mehdorn nicht herumkommen. Und für diesen Tag sollte Mehdorn sich nicht nur mit Babylon, sondern auch mit der biblischen Stadt Ninive beschäftigen. Deren Einwohner liefen irgendwann in Sack und Asche umher - und entgingen so der Strafe Gottes.
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