Wenig sensibel: Antisemitisch zu lesendes VW-Werbeplakat aus dem Jahr 1952 (o.). Unten: der weitgehend verdrängte Konstrukteur Josef Ganz 1931 in seinem „Maikäfer“ Fotos: Marc Stantien (o.), Josef Ganz Archiv/Paul Schilperoord

Das Schweigen der Autobauer

Kunst forscht Die Ausstellung „Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor“ zeigt den Wandel der Autostadt zur Event-City. Und sie erzählt von Josef Ganz: Der war Jude, schuf VW-Prototypen, wurde 1934 ins Exil getrieben – und wird bis heute kaum gewürdigt

Von Bettina Maria Brosowsky

Eigentlich müsste so eine Firmenchronik ja vollständig sein und alle würdigen, denen man den Erfolg verdankt. In diesem Fall die erfolgreiche Massenproduktion des Volkswagens, der – im Dritten Reich von Hitler forciert – 1938 der Grund für die Gründung der Stadt Wolfsburg war. Und verantwortlich dafür, dass Wolfsburg in den 1950er- und 1960er-Jahren Musterstadt des deutschen Wirtschaftswunders wurde.

Doch der Jude Josef Ganz, maßgeblich für die Entwicklung der ersten VW-Prototypen und Vorläufer verantwortlich und später ins Exil getrieben, kommt selbst in den 2014 vom VW-Konzern edierten „Historischen Notaten“ mit dem Titel „Vom Käfer zum Weltkonzern“ kaum vor.

Dabei hat Ganz wesentlich zur Entwicklung erster Vorläufer des Wagens beigetragen, auch wenn er sich das wohl nie patentieren ließ. Und weil er dieses – nicht nur Abgasskandal-bedingte – Schweigen des VW-Konzerns nicht hinnehmen will, hat Ralf Beil, der neue Direktor des Wolfsburger Kunstmuseums, Ganz’Geschichte zum Ausgangspunkt der Ausstellung „Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor“ gemacht.

Die Schau besteht aus einem von sieben internationalen Künstlern bestückten Parcours, der von der (VW-fernen) Prähistorie bis heute reicht und sich als künstlerische Recherche im besten Sinne versteht.

Forschungsgegenstand ist die Historie jener Stadt, die – wie Eisenhüttenstadt in der Ex-DDR – am Reißbrett entstand und sich inzwischen vom reinen Autobauerstandort zur von Architekten umworbenen Event-City gewandelt hat.

Gleich zu Beginn des Parcours, im Museumsfoyer, stößt man auf einen Kleinwagen. Allerdings ist es nicht ein früher VW, sondern ein „Maikäfer“ von 1931, gefertigt vom erwähnten Konstrukteur Josef Ganz. Und mit eben diesem Mann endet auch der Rundgang, eine mehrere Räume füllende installative Recherche des Schweizers Rémy Markowitsch.

Er thematisiert Leben und Werk eines deutschen Juden, der als Motor-Enthusiast, Ingenieur und aufmüpfiger Journalist die Entwicklung eines vollwertigen Kleinwagens und damit des späteren VW Käfer forcierte.

Ganz, geboren 1898 in Budapest, reichte bereits als 12-jähriger Wiener Gymnasiast sein erstes technisches Patent ein. 1916 nahm er, mittlerweile in Frankfurt, die deutsche Staatsbürgerschaft an, diplomierte 1927 an der TH Darmstadt und wurde Chefredakteur eines Motormagazins, das er ab 1929 Motor-­Kritik nannte.

Ob Josef Ganz seine VW-Prototypen in den 1930er-Jahren patentieren ließ, ist unklar. Geholfen hätte es ihm jedenfalls nichts

Zielscheibe seiner beißenden Ironie waren die technisch antiquierten, unsicheren und teuren Fahrzeuge der etablierten deutschen Automanufakturen, die das Gegenteil der eigentlich propagierten preiswerten Volksmotorisierung waren.

Die Autobauer konterten mit Rechtsmitteln, Anzeigenboykott und Verleumdungskampagnen, stärkten damit aber letztlich nur die Ganz’sche Publizität. Der wiederum beließ es nicht bei Ideen, sondern konstruierte selbst ein automobiles Zukunftsmodell: 1930 einen Prototypen und 1931 den erwähnten „Maikäfer“, den er 1933 zum zwei- bis viersitzigen „Superior“ weiterentwickelte.

Das innovative, wenngleich spartanische Vehikel wurde als „deutscher Volkswagen“ beworben, war mit 1.590 Reichsmark aber recht teuer. Hitler sah das Fahrzeug 1933 bei einer öffentlichen Präsentation.

Unklar ist allerdings, ob Ganz seine Entwicklungen patentieren ließ. Geholfen hätte es ihm jedenfalls nichts, denn auf Befehl Hitlers mussten deutsche Autobauer ab 1934 ihre Patente seinem Kleinwagen-Projekt zur Verfügung stellen. Ferdinand Porsche konnte sich auf diese Art der Ideen seiner Kollegen bedienen – übrigens auch der Bezeichnung Volkswagen.

Josef Ganz indessen, als Jude vom antisemitischen Nazi-Regime mit Berufsverbot belegt, verfolgt, von Kollegen denunziert, floh 1934 in die Schweiz und trieb dort einen Schweizer Volkswagen bis zur Serienreife voran. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. 1950, staatenlos aus der Schweiz ausgewiesen, zog er nach Australien und starb 1967 – verarmt und vergessen.

Jedenfalls fast: Als ab Mitte der 1950er-Jahre Autokonstrukteure gerichtlich gegen die Patentverletzungen im Dritten Reich durch Volkswagen vorgingen, nahm Heinrich Nordhoff, seit 1948 VW-Generaldirektor, Kontakt zu seinem Ex-Kollegen Ganz auf, um ihn als Gutachter oder Berater zu gewinnen. Und als Nordhoff 1965 das Bundesverdienstkreuz entgegennahm, würdigte er die Ganz’schen Verdienste um den Volkswagen ausdrücklich.

Dies ist eine von mehreren Geschichten, die die Ausstellung „Wolfsburg Unlimited“ erzählt, die eigentlich auch einen Parcours durch die Stadt bieten sollte. Infolge des VW-Abgasskandals sponserte die Stadt den Außenparcours dann aber doch nicht; die Motor-Manipulationen sind bislang so wenig aufgearbeitet wie die jüdische Vorgeschichte.

Und als sei es Sinnbild für eine längst schrottreife Identität, eine nicht mehr taugliche Fixierung auf wenig autofixierte Wirtschaftswunderzeiten, hat der Künstler Julian Rosefeldt aus elf schrottreifen Autos und 40 Containern ein Autokino und eine Filmkulisse gebaut – Nachhall und Spiegelung längst vergangener Zeiten.

John Bock wiederum hat Filme über renommierte, in Wolfsburg tätige Architekten wie Hans Scharoun und seinen Theaterbau zusammengestellt. Ergänzt werden all diese künstlerischen, eigens für die Ausstellung entstandenen Recherchen, durch echte Dokumente der VW-Geschichte.

So tut nun also die Kunst, was Firmenhistoriker und Wissenschaftler versäumten. Aber um diese Entgrenzung, um die Gleichwertigkeit künstlerischer und historischer Forschung geht es ja auch. Ralf Beil und seine Künstler legen, wie sich das für die Kunst gehört, den Finger in manche Wunde.

„Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor“: bis 11. September, Kunstmuseum Wolfsburg