Das Mittelmeer im Wandel der Zeit: Die einstige Bühne Europas

Früher war das Mittelmeer Kerngebiet des alten Kontinents, heute gilt es als Problemzone. Was für die Römer das instabile Germanien war, ist für die EU ihre islamische Peripherie.

Problemzone Mittelmeer? Bild: dpa

Am Anfang war ein Stöhnen. In Deutschland und anderen Ländern Nordeuropas galt der soeben beendete EU-Mittelmeer-Gipfel zunächst als eine leicht spinnerte Idee des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Mit der für ihn typischen Melange aus französischer Großmannssucht, ungebremstem Aktionismus und nicht immer lupenreiner Seriosität schien der Newcomer die etablierte europäische Szene mal wieder durcheinanderzuwirbeln. Die einen halten das Thema für so leichtgewichtig wie den Klatsch über die Präsidentengattin Carla Bruni, die anderen verweisen nun stolz auf die geplante Entgiftung des Meerwassers - und alle zusammen sind froh, dass sie den Alleingang Sarkozys wenigstens pro forma in ein gemeinsames EU-Projekt umgebogen haben.

Eine Frage allerdings scheint sich kaum jemand zu stellen: Hat Sarkozy vielleicht sogar recht? Ist das Mittelmeer einschließlich seines östlichen und südlichen Randes europäischer, als es uns lieb sein kann? Dient die aufgeregte Debatte um einen türkischen EU-Beitritt auch dem Zweck, von der so heiklen wie nötigen Diskussion um weitere Kandidaten zwischen Marokko und Israel abzulenken?

Historisch verläuft die Südgrenze Europas jedenfalls nicht durchs Mittelmeer, sondern durch die Sahara und die arabische Wüste. Schwer zu durchdringen war der endlose Sand mit seiner mörderischen Hitze, waren die Gebirge des Nordens mit ihrem Eis und Schnee - keineswegs aber das Meer, das die städtischen Zivilisationen der mediterranen Welt ganz im Gegenteil zu einer Einheit verschmolz. Vor der Erfindung von Flugzeug und Automobil war das Schiff das Verkehrsmittel der Wahl.

Das Mittelmeer war die Bühne, auf der eines der faszinierendsten Stücke der Weltgeschichte aufgeführt wurde: die antike Globalisierung innerhalb des römischen Weltreichs. Olivenöl aus Griechenland, Wein aus Kampanien, Getreide aus Nordafrika gab es überall zu kaufen. Die Scherben der rund 50 Millionen Amphoren, aus denen der stadtrömische Trümmerberg Monte Testaccio besteht, zeugen noch heute davon.

Bis heute streiten Historiker, wann sich diese Einheit des Mittelmeerraums auflöste - und ob sie es in vormoderner Zeit überhaupt tat. Mit dem Untergang des Römischen Reiches jedenfalls brach der florierende Austausch nicht schlagartig zusammen, und auch die Ausbreitung des Islam brachte die wirtschaftliche und geistige Kommunikation nach neueren Erkenntnissen nicht zum Erliegen. Noch in der Renaissancezeit berichten Reisende, wie sie sich an allen Ufern des Mittelmeers heimisch fühlten. Nördlich der Alpen störten sie sich an schlechtem Wetter, schwerer Küche und übermäßigem Alkoholkonsum.

Jahrhundertelang war der Norden die labile Problemzone des Kontinents, nicht der Süden. Der Mix aus hoher Geburtenrate, politischer Instabilität und ökonomischer Rückständigkeit, der heute als Kennzeichen vieler arabischer Länder gilt, war in der langen Spätantike ein Spezifikum Germaniens. In dem Maße, wie sich der Schwerpunkt des Kontinents nach Norden und Westen verschob, holten dessen Bewohner diesen Rückstand auf - allerdings um den Preis von Kriegen und Krisen, die den Niedergang der mediterranen Zivilisation und einen beispiellosen Kulturbruch mit sich brachten.

Als Folge dieses Kulturbruchs war Europa für Jahrhunderte von monotheistischen Religionen dominiert. Christentum und Islam breiteten sich im Mittelmeerraum und seinen nördlichen Anhängseln nahezu gleichzeitig aus. Typisch für den Kontinent war fortan eine rasante Fortschrittsdynamik, die dem griechisch-römischen Altertum fremd gewesen war. Sie ging wiederholt mit Modernisierungskrisen einher, die fundamentalistische Ideologien und mörderische Gewalt hervorbrachten. Der frühneuzeitliche Entwicklungsschub endete in blutigen Religionskriegen, das Jahrhundert der Aufklärung im Terreur der Französischen Revolution, das klassische Industriezeitalter in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.

Auch in seinen fundamentalistischen Ausformungen erweist sich deshalb der Islam, der angesichts der aktuellen Globalisierungskrise eine solche Modernisierungskrise erlebt, als ein integraler Bestandteil Europas, den der Kontinent nicht länger verdrängen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.