Das Kulturerbe der G.I. Disco: Eine einst gut bewachte Nische
Mit Kulturauftrag: Wie die beiden DJs Daniel W. Best und Karsten Grossmann, musikalisch initiiert unter GIs, ein Kapitel Popgeschichte retten und beerben.
Das Interieur der Diskothek "Cinderella" in Stuttgart glich einem Club aus der Abschlussszene in Brian De Palma's Gangsterfilm "Scarface" (1983). Eine grell beleuchtete Treppe führte hinab den Keller. Dort war die Tanzfläche umgeben von großflächigen Spiegeln. Am Rand platziert waren mehrere Sitzecken mit edlen Ledersofas. Statt auf Al Pacino und Michelle Pfeiffer traf man im "Cinderella" Mitte der 80er Jahre vor allem auf die in Stuttgart stationierten US-Soldaten.
Daniel W. Best erinnert sich an eine dieser Begegnungen: "Der Typ war einen ganzen Kopf kleiner als ich, aber doppelt so breit, und murrte mich an: ,Geh zur Seite, Großer!' " Der 40-jährige Berliner DJ, Veranstalter und Labelbetreiber, wuchs als Kind deutscher Eltern in den USA auf. Als er 14 war, zog er mit seiner Familie nach Reutlingen bei Stuttgart - mitten in die damalige US-Besatzungszone.
Während seine KlassenkameradInnen U2 und Bands der Neue Deutsche Welle hörten, begeisterte sich der junge Best für Soul, Funk und R&B. Besonders Bands wie Midnight Star und die SOS Band, die in den 80ern den Funk und Soul der 70er mit den Klängen elektronischer Synthesizer kombinierten, hatten es ihm angetan. Im Südwesten der BRD traf er auf ein dankbares Umfeld: American Forces Network (AFN), der US-Soldatensender, spielte ähnliche Dance-Sounds.
Tausche Mark in US-Dollar
Doch den größeren Einfluss auf Bests popkulturelle Sozialisation hatten die speziell auf die Soldatenklientel zugeschnittenen Diskotheken wie das "Cinderella". "Einige der Clubs waren direkt in den Militärarealen. Der Einlass wurde über die Militärpolizei geregelt, und man musste erst Mark in US-Dollar umtauschen", erinnert er sich. "Die Clubs im Stadtgebiet waren offener. Das Publikum bestand jedoch überall mehrheitlich aus schwarzen GIs und blonden deutschen Frauen. Dazu kamen ein paar Nerds wie ich, die eigentlich nur wegen der Musik da waren."
Zu diesen Nerds zählte 500 Kilometer weiter nordöstlich Karsten Grossmann. Der 39-jährige gebürtige Westberliner legt heute unter dem DJ-Namen Kalle Kuts auf. Seine Initialzündung waren Besuche in den GI-Clubs im amerikanisch besetzten Teil West-Berlins.
Der damalige Offiziersclub "Silverwings" im Flughafen Tempelhof wird noch heute an gleicher Stelle weitergeführt. "Musikalisch innovativer waren aber die nach einem Bombenanschlag 1986 geschlossene Diskothek ,La Belle' oder das ,Chic' am Adenauerplatz. Das war ein kleines Stück New York im beschaulichen West-Berlin", erinnert sich Grossmann mit leuchtenden Augen.
Als Grossmann und Best sich vor zwei Jahren auf der Winter Music Conference in Miami trafen, eine wichtige Messe der internationalen Clubmusikszene, entdeckten sie die Gemeinsamkeiten ihrer Sozialisation. Das Projekt "G.I. Disco" wurde aus der Taufe gehoben.
"Für uns ist das auch eine Art Kulturauftrag", sagt Best und ist sich des Pathos, das in dieser Formulierung mitschwingt bewusst. "Über diese Zeit ist leider nur wenig dokumentiert. Gern würden wir Zeitzeugenberichte veröffentlichen und eine Fotoausstellung zu dem Thema machen." Begonnen haben die beiden aber erst mal mit einer regelmäßig in Berlin stattfindenden Party, wo sie die Musik von damals spielen. Jetzt folgt eine Compilation auf dem britischen Dance-Label BBE.
Postmodern und queer
Die Auswahl der zwölf Tracks ist gleich doppelt überraschend. Auf "G.I. Disco - The History Of The Cold Wars Hottest 80s Club Music In West Germany" fehlen nämlich klassische 70er-Discotracks, die noch von organischen Streicher- und Bläserklängen dominiert sind. Genausowenig sind echte House- und HipHop-Tracks enthalten.
Stücke wie "Rumours" des kalifornischen Trios Timex Social Club aus dem Jahr 1986 sind seltsame hybride Mischungen: Sprechgesang, ohne die oft testosteronstrotzende Gangsterattitüde von HipHop und Elektronik, ohne das kompromisslose Primat des Rhythmus von House.
Die Musik ist im besten Sinne postmodern, queer und vor allem nicht mehr eindeutig als "Black Music" fixierbar. Denn die charakteristischen Klänge von Synthesizern wie dem Yamaha DX 7 waren in den Achtzigern ganz ähnlich auch in Produktionen weißer englischer Jungs wie Depeche Mode oder Heaven 17 zu hören. Bestes Beispiel für diese transkontinentalen Verbindungen ist das wunderbar naiv-euphorische "I.O.U." der britischen Gruppe Freeez.
Freeez wurden von dem New Yorker Arthur Baker produziert, der sowohl für den HipHop-Pionier Afrika Bambaataa als auch die britischen Synthiepopper New Order arbeitete. Einer der Hits der Compilation ist "Money is too tight to mention" der Valentino Brothers von 1982. Mit der Coverversion dieses Stücks starteten Simply Red drei Jahre später ihre Weltkarriere. Während die G.I. Discos in der Bundesrepublik geheime Nischen waren, liefen viele der dort gespielten Songs zur gleichen Zeit auch im US-amerikanischen Mainstreamradio.
Patriotische Mittelschicht
Obwohl die GIs mit ihren tiefergelegten Autos, den weiten Hosen und kurzrasierten "Crewcut"-Haarschnitten einem westdeutschen Jugendlichen wie die Verkörperung urbaner Coolness schlechthin erscheinen mussten, gehörten sie doch überwiegend zu einer solide-patriotischen unteren Mittelschicht, die aus den US-Metropolen nach Deutschland kam, um etwas von der Welt kennenzulernen.
House und HipHop, die Klänge emanzipatorischer Großstadtsubkulturen wie der Schwulenbewegung einerseits und der marginalisierten schwarzen Ghetto-Unterschicht andererseits, waren ihnen fremd.
Das änderte sich Ende der 80er Jahre, als beide Stile immer stärker vom Mainstream wahrgenommen wurden. Doch da hatten die G.I.-Discos in Westdeutschland ihre beste Zeit schon hinter sich. "Für uns ist es gerade die Offenheit im Sound, die den besonderen Reiz der G.I.-Discos ausgemacht hat", so Grossmann. "Spätestens mit Beginn der Neunziger teilten sich die Dancefloors in strikt elektronisch und nicht elektronisch."
Der enorme Einfluss der GIs auf die popkulturelle Entwicklung Deutschlands wurde lange Zeit verdrängt. Der Radiomoderator und Journalist Klaus Walter stellt sogar die These auf, dass sich eine popkulturelle Landkarte Westdeutschlands streng nach Besatzungszonen einteilen ließe: In Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, dem Einflussgebiet der Briten und ihrem Radiosender BFBS, waren Punk und Indie angesagt. Man konnte dort auch die legendäre Sendung des BBC-DJs John Peel empfangen.
Vorbild Außenseiter
Das selbstbewusste Außenseitertum der GIs übte seine Faszination vor allem auf Jugendliche mit migrantischem Elternhaus aus. Als erste deutsche HipHop-Gruppe gilt Advanced Chemistry, unter anderem aus einem Deutschitaliener und einem Afrodeutschen zusammengesetzt.
1992 machten sie mit "Fremd im eigenen Land" eine breite Öffentlichkeit auf die Probleme von MigrantInnen im wiedervereinigten Deutschland aufmerksam. Gegründet hatten sich Advanced Chemistry in Heidelberg - einer der größten Garnisonen der US-Armee. Dass aber auch die wegen ihrer bürgerlichen Herkunft lange als Reihenhausrapper verschrienen Stuttgarter Fantastischen Vier mitten aus dem US-Sektor stammen, verwundert nicht.
Genau wie Best und Grossmann haben sie als Teenager neben den US-Soldaten auf der Tanzfläche gestanden. Fanta-4-Mitglied Michi Beck war sogar zu Beginn der 90er Jahre DJ im "ON-U", dem Nachfolgeclub der G.I.-Disco "Maddox". Daher wäre es zu einfach, das Projekt "G.I. Disco" nur in einem Retrokontext zu verorten. Akute Westalgie kann man Best und Grossmann nämlich nicht unterstellen.
Denn der auf ihrer Compilation zelebrierte Sound ist inzwischen wieder hochaktuell. HipHop- und R&B-Produzenten wie Pharell Williams oder Timbaland verwenden verstärkt elektronische Elemente in ihren Tracks, Clubmusik erlebt derzeit eine Phase der Rückbesinnung auf die afroamerikanischen Wurzeln.
Vor allem ist die Geschichte der G.I.-Discos eine, wie sie in der heutigen Popmusik gar nicht mehr vorkommen kann. "G.I. Disco" erzählt die Geschichte von Pop als einem Geheimnis, dass nur wenige Eingeweihte an exklusiven Orten teilten. In Zeiten der totalen digitalen Verfügbarkeit von Musik klingt das verheißungsvoller denn je.
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