Das ICC in Berlin macht dicht: Cremefarbene Riesenmaschine
Das Internationale Congress Centrum war ein genial verschachteltes Labyrinth, jeder Besuch eine doppelte Zeitreise. Ein nostalgischer Blick zurück.
BERLIN taz | Noch einmal diesen Teppich sehen. Den Teppich mit seinen endlosen Reihen aus untertassengroßen Kreisen, hellgrau, dunkelgrau, hellgrau, dunkelgrau fluten sie die unzähligen Flure und Zwischengeschosse des ICC. Noch einmal in diese Riesenmaschine am Messegelände eintauchen, noch einmal diese doppelte Zeitreise machen, in die Zukunft und zugleich in die prädigitale Zeit der 1970er und -80er mit ihren Farben und Mustern, ihren Piktogrammen, als Kongressräume noch „Salon von Stephan“ und „Pullman-Lounge“ hießen.
Noch einmal in einer der zahllosen Sitzecken herumlungern und die Atmosphäre einsaugen, der Teppichboden dampft alle Geräusche zu einer Dauersoundkulisse aus fernem Gemurmel ein, passend dazu wandern geistergleich Geschäftsleute über die Gänge, hin und wieder versammeln sie sich an temporären Stehtischinseln zum Imbiss. Dazwischen huscht das Servicepersonal mit seinen akkurat weißen Schürzen und schwarzen Fliegen umher, immer wieder holt es neue Buffet-Wärmeschalen und Safttabletts aus dem Bauch des Raumschiffs hervor.
Das alles gibt es nun nicht mehr, denn am Sonntag endete mit der ITB 2014 der Kongressbetrieb des ICC. Über zehn Millionen Gäste und Tausende Veranstaltungen hatte es seit seiner Eröffnung 1979 beherbergt, doch vorbei, vorbei: Ab Mai 2014 findet alles im CityCube am anderen Ende des Messegeländes statt. Zu teuer sei der Betrieb des landeseigenen ICC, heißt es, zu anfällig die Technik und zu unwirtschaftlich der Grundriss, nur zehn Prozent der Fläche sei für Veranstaltungen nutzbar.
Narren! Es ist doch gerade dieser Grundriss, der das ICC zu einem Erlebnis macht. Sein Foyer ist eine Landschaft, die Geschossebenen sind derart ineinanderverschachtelt, dass es unmöglich ist, einen zweidimensionalen Gebäudeplan zu erstellen. All die Galerien und Brücken und Rolltreppen und Ebenen bilden ein Labyrinth, das andauernd neue aufregende Fluchten und Sichtachsen offenbart.
Freilich war das bis zuletzt gewöhnungsbedürftig, diese komplette Negierung des Natürlichen. Kein Holz und nur wenig Stein finden sich in diesem Gebäude, stattdessen gibt es viel Metall, Glas, Kunststoff – und vor allem dieses Blech, mit dem alles so wuchtig verschalt ist und das man creme- oder zahnbelagfarben nennen kann. Das ICC ist ein verstörend selbstbezogener, nach innen gerichteter Kosmos, einzig der Speisesaal bietet einen Panoramablick auf Berlin. Auf ein verwaschenes Westberlin aus dem Autobahnzeitalter freilich, von dem nun wieder mal ein Stück weggebrochen ist, für immer.
Denn selbst falls das ICC aus seinem von der Politik verordneten „Stillstandsbetrieb“ genannten Dornröschenschlaf jemals erwacht, wird es doch nie wieder wie heute aussehen. Aktuell wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft ein Nachnutzungskonzept erarbeitet, Ende des Quartals soll ein Bericht dazu an den Senat geschickt werden. Und jeder denkbare Investor wird das Innere des Hauses an die Bedürfnisse des Jetzt anpassen.
Es heißt also Abschied nehmen. Eine allerallerletzte Chance dazu bietet sich am 9. April. Dann findet traditionsgemäß die Daimler-Hauptversammlung im 5.000-Plätze-Saal 1 statt, und da kann jeder teilnehmen, der sich schnell noch eine Aktie kauft. Die Anmeldefrist endet am 4. April um 23.59 Uhr.
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