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Das Fahrrad von Christian Ströbele

Fast 20 Jahre diente ihm dieses Gefährt als gewöhnliches Transportmittel, es gehörte zu seinen Markenzeichen. Wie er es zu nutzen und zu lieben wusste, war aber alles andere als gewöhnlich. Jetzt wird es ein Denkmal in der taz

Ströbele und sein Fahrrad im Getümmel in Berlin 2013 Foto: imago

Von Christian Busold

Christian Ströbeles Fahrrad, das war ein schwarzes Kettler-Alu-Rad mit lilafarbener Vordergabel, breiten 26er-Reifen, 5-Gang-Kettenschaltung, Naben­dynamo, großem Gepäckträger hinten, gebogenem Lenker mit Hupe vorne, schwarzen Griffen und einem von Christian genähtem braunen Sattelbezug. Später polsterte er ihn mit reichlich Schafwolle. Am Rahmen klebten mit den Jahren Aufkleber: „Erststimme Ströbele“ und „TAZ – eine linke radikale Tageszeitung“. Viele Geschichten lassen sich über Christian und sein Fahrrad erzählen. Eine Auswahl?

„Klau mich“ I.

So in etwa beschrieb er sein Rad in einem Suchaufruf, nachdem es ihm am 19. April 2005 am Reichstagsgebäude gestohlen worden war. Die Berliner Morgenpost veröffentlichte ein Foto des vermissten Stücks. Ein Radladen verteilte sogar bebilderte Flugblätter an viele Fahrradkuriere. Fünf Tage später entdeckten zwei Kuriere aus Berlin und Australien das gesuchte Rad auf dem Sonntags-Flohmarkt am Kreuzberger Moritzplatz, kauften es für 20 Euro und übergaben es dem erleichterten Christian. Der schrieb dankbar:

„Die Fahndung hatte Erfolg – nicht mit Videoüberwachung, nicht mit genetischem Fingerabdruck, nicht mit Hubschraubereinsatz, sondern mit alternativen Ermittlungsmethoden und traditionellem sozialen Zusammenhalt.“

Zu dieser Klarstellung hatte Christian allen Anlass. Es ging um nicht weniger als seine Glaubwürdigkeit. Denn hingewiesen auf die Kameras am Gebäude, war der bestohlene Christian unbefangen selbst in die Einsatzzentrale der Bundestagspolizei gegangen. Die hatte aber keine Bilder parat – weil die Kameras ausgeschaltet waren.

Fake News

Von dieser Anfrage wurde der damaligen Kanzlerkandidatin Angela Merkel berichtet, die sich darüber bald in vielen Wahlkampfreden lustig machte: „Der arme traurige Herr Ströbele: Erst wenn’s ums eigene Rad geht, verstehen Grüne, warum Videoüberwachung wichtig ist.“ – Zu seiner Anfrage bei der Polizei erklärte sich Christian später zwar – im Anwaltssprech – „voll geständig“. Er wies aber Merkels unwahre Behauptung zurück, er hätte sein Anliegen gar dem Ältestenrat des Bundestags vorgebracht.

Christians politische Wettbewerber verbreiteten gern Fake News zu ihm und seinem Rad. Etwa, nachdem an einem regnerischen Sitzungstag des Bundestages 2007 Christians besorgte Gattin ihn mal möglichst trocken im Auto vor den Eingang fuhr. Als er sein Rad dort entlud, fotografierte dies ein PDS-Mitarbeiter aus deren naheliegendem Büro. Mitglieder der PDS spotteten, er fahre lieber Porsche und radle nur letzte Meter zur Foto-Pose. Ähnliches verbreiteten die PDS- und CDU-Direktkandidaten. Christian antwortete nur: „Man sollte schnatternden Enten­ nicht alles glauben.“

Auswärts-Einsätze

Christian fuhr mit Zug und Rad auch zu Einsätzen jenseits von Berlin. Etwa im Jahre 2009 beim Anti-Nato-Gipfel in Kehl. Dort umradelte er Polizeisperren samt Tränengas und Wasserwerfer bis nach Straßburg und versuchte (auch per Megafon), dort eingekesselte Berliner Demonstranten wieder loszueisen. 2010 und 2011 radelte Christian nach Dresden, um die Stadt mit tausenden weiteren Aktivisten „nazifrei“ zu halten. Dies neidete ihm die anwesende Reporterin der Zeit und schrieb: „Trotz Ausweis für mich kein Durchkommen. Doch Christian Ströbele mit seinem Fahrrad durfte durchs Polizeispalier radeln. Aber um diesen Status zu er­reichen, muss mal wohl 70 werden und einmal in den TOP 10 der Charts vertreten gewesen sein.“

Nur ausnahmsweise nahm Christian ein Miet-Rad am Ort politischer Aktion: Beispielsweise im Juli 2017 beim Anti-G20-Gipfel in Hamburg (mit Gehstock auf dem Gepäckträger) oder im April 2010 in der Menschenkette zwischen zwei AKWs: Von Hamburg-Bergedorf radelte Christian noch 20 Kilometer zum AKW Krümmel.

Unfälle

2016 stürzte Christian abends in seinem Wahlkreis mit dem Rad in eine unbeleuchtete Baugrube, krabbelte allein heraus. Im Juli 2016 verletzte ihn im Tiergarten ein Radraser an Kopf und Rippen. Christian nur lapidar: „Den hab ich fürchterlich beschimpft.“ Leider trug Christian höchst selten einen Helm – wenn doch, ließ er den oft irgendwo liegen.

Foto: Michael Sontheimer

Da die Polizei des Bundes­tages vor dortigen Staats­besuchen stets Räder vom Gelände verbannte, Christian seines trotzdem da abstellte („dürfen Limousinen ja auch“), wurde dieses einmal zum Polizeirevier 28 verfrachtet, wo ich es dann auslösen und Christian wiederbringen musste.

„Klau mich“ II.

Ein 1999 zeitweise gefahrenes rotes taz-Rad wurde Christian leider bald am Kriminalgericht Moabit geklaut. Er hätte es besser anschließen sollen; er glaubte, die anwesenden Polizeistreifen böten während seines nur kurzen Stopps Schutz genug. Auch ein 2017 beschafftes leichteres „Damen“-Rad mit tiefem Durchstieg wurde Christian schon bald wieder geklaut.

Rollator statt Rad

Ein taz-Urgestein

Hans-Christian Ströbele war taz-Gründer, er hat die taz-Genossenschaft mit auf den Weg gebracht und war bis zu seinem Tod 2022 im Kuratorium der taz Panter Stiftung. Er war außerdem Rechtsanwalt und Grünen-Politiker. 2002 wurde Ströbele der erste direkt gewählte Grünen-Abgeordnete im Bundestag; neben dem roten Schal wurde sein Fahrrad zu seinem Markenzeichen. Dieses Jahr hätte Ströbele am 7. Juni seinen 86. Geburtstag gefeiert. Zu seinen Ehren wird die taz am 5. Juni in einem kleinen Festakt das Ströbele-Rad im schönsten taz-Raum als Ströbele-Denkmal installieren. (uwi)

Ab 2019 musste Christian wegen zunehmender neurologischer Muskelschwäche vom Rad über einen Gehstock auf einen Rollator umsteigen.

Als Christian am 22. September 2022 beerdigt wurde, durfte ich ihm – abgesehen von einem roten Schal – auch ein Fahrradmodell mit ins Grab legen.

Teufel

Christians Verbindung zu Fahrradkurieren rührte übrigens auch von seinem Ex-Mandanten Fritz Teufel her, der ihn als „Moskito“-Kurier oft im Bundestag besuchte, um dort mit ihm auf der fraktionseigenen Platte Tischtennis zu spielen – und dabei auch übers Radeln zu plaudern. Das Deutsche Historische Museum erhielt Ende 2016 Teufels altes Kurierrad und fragte auch Christian an, ob sie sein Rad … Nein, er überließ sein altes Fahrrad lieber der taz.

Christian Busold,Jahrgang 1956, Rechtsanwalt, war 35 Jahre – von 1987 bis 2022 – (auch) tätig in der grünen Bundestagsfraktion, gut 19 Jahre bis 2018 auch für Christian Ströbele als wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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