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Das Europaparlament gibt nicht auf

Die Abgeordneten haben die Zustimmung zum Vertrag von Nizza erneut vertagt. So wollen sie Zugeständnisse der Regierungschefs erzwingen

BRÜSSEL taz ■ Übernächtigt und enttäuscht hatte es Elmar Brok, CDU-Verfassungsexperte im Europaparlament, schon nach der entscheidenden Gipfelnacht vergangenen Dezember in Nizza angekündigt: Wir werden diesem faulen Kompromiss nicht zustimmen. Seither hat das Europaparlament seine Entscheidung über die Ergebnisse des EU-Gipfels mehrmals vertagt. Zuletzt am vergangenen Mittwoch, als die Abgeordneten den von Inigo Mendez de Vigo (Konservative) und Antonio Seguro (Sozialisten) vorgelegten Bericht zum Nizza-Vertrag billigten. De Vigo und Seguro waren zu einem ähnlich vernichtenden Urteil wie Brok gekommen.

„Zum ersten Mal in seiner Geschichte“, so stellte der österreichische grüne Abgeordnete Johannes Voggenhuber befriedigt fest, „sagt das Parlament zu einem ausgehandelten Vertrag nicht einfach Ja.“ Zwar braucht der Nizza-Vertrag nicht die Zustimmung des Europaparlaments. Er muss aber von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Mehrere Fraktionen haben angekündigt, die Haltung des Europaparlaments bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Das italienische Parlament wollte sich in seinem Votum dem EP anschließen. Für die neue euroskeptische Mehrheit in Rom könnte die Brüsseler Haltung ein willkommener Vorwand sein, um den Vertrag abzulehnen.

Damit wäre genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Europaabgeordneten anstoßen wollen. Sie haben angekündigt, den Nizza-Vertrag Anfang nächsten Jahres zu unterzeichnen, falls Ende 2001 beim Gipfel in Laeken ein überzeugender Zeitplan und eine überzeugende Arbeitsmethode für den „Post-Nizza-Prozess“ erreicht wird. Sie wollen also die verpfuschte Reform nur billigen, wenn die Reform der Reform beschlossene Sache ist.

Über das weitere Vorgehen haben die Parlamentarier im Gegensatz zu den Regierungschefs präzise und quer durch die Parteien übereinstimmende Vorstellungen: In Laeken soll eine Konferenz aus nationalen Abgeordneten, Europaparlamentariern, Regierungs- und Kommissionsvertretern gebildet werden. Die Kandidatenländer sollen an ihr teilnehmen. Die belgische Präsidentschaft soll auch die heikle Frage klären, wer die Konferenz leitet und damit – wie einst Roman Herzog beim Verfassungskonvent – entscheidenden Einfluss auf Tagesordnung und Formulierungen nehmen kann.

Bis Herbst 2003 soll diese Konferenz einen Vorschlag unterbreiten, der die Verträge vereinfacht, einen Verfassungsteil anfügt, die Kompetenzen zwischen Nationalstaaten und EU neu verteilt und die Beteiligung der nationalen Parlamente an EU-Entscheidungen regelt, vielleicht in Form einer zweiten Kammer. Neben diesen „Überbleibseln“ von Nizza soll auch versucht werden, möglichst große Bereiche der Gemeinschaftspolitik in qualifizierte Mehrheit zu überführen und dafür zu sorgen, dass künftig das EU-Parlament in allen wichtigen Fragen – auch der Agrarpolitik – mitentscheiden kann.

Spätestens im Frühjahr 2004 – so die Vorstellungen der EU-Abgeordneten – soll eine Regierungskonferenz über den neuen Vertragstext entscheiden. Dieser straffe Zeitplan sei nötig, um das Projekt nicht zu gefährden. Denn im Sommer 2004 endet das Mandat der jetzigen Kommission und das Europaparlament wird neu gewählt.

Indem die Abgeordneten ihre Zustimmung zum Nizza-Vertrag mit der Qualität der Laekener Erklärung verknüpft haben, ist ihnen ein geschickter Schachzug gelungen. Statt den Integrationsprozess zu blockieren, haben sie einen Beschleunigungsversuch gestartet.

DANIELA WEINGÄRTNER

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