cdu-parteitag: Das Ergrünen der Angela Merkel
Angela Merkel hat gestern die erste Regierungserklärung einer schwarz-grünen Koalition abgeliefert. Sie hat, ohne die Grünen mehr als einmal zu erwähnen, skizziert, was die gemeinsame Wertebasis eines solchen Bündnisses sein könnte. Dass sie die Grünen, einst Lieblingsgegner konservativer Redner, dabei von direkten Angriffen fast ausgenommen hat und sich ganz auf den Sozi Gerhard Schröder konzentrierte, passt ins Bild. Ihr zentraler Vorwurf an den Kanzler schließlich müsste eigentlich von den Grünen kommen: Schröders Tun und Denken fehlt es an Nachhaltigkeit, er betreibt „eine Politik des Augenblicks“.
Kommentarvon PATRIK SCHWARZ
Schwarz und Grün – so ähnlich kann es sein: Unter Heimat versteht Merkel nicht den röhrenden Hirsch überm Sofa, sondern die selbstbestimmte Suche nach Sinn in einer unübersichtlichen Welt. Steckt darin nicht der Kern für ein buntes, womöglich sogar multikulturelles Deutschlandbild? Innere Sicherheit definiert Merkel nicht länger als alleinige Domäne der Polizei, sondern als Forderung nach sozialer wie ökologischer Lebensqualität. Die Biokarotte als Frage der inneren Sicherheit – so provokativ formuliert sonst nur Renate Künast. Die CDU denke den Staat von den kleinen Einheiten her, nicht von der allmächtigen Zentrale, sagt Merkel – und Bürgerinitiativen wie grüne Mittelständler müssten applaudieren. En passant hat Merkel schließlich den Abschied der CDU vom Christentum als alleinigem Heilsbringer formuliert: Weil sie Gott nicht nur im Singular denkt, ist Merkel anschlussfähig bis in die modernen Sinnsucher-Szenen.
Um die grünen Wähler wie Politiker warb sie dabei als Letztes. Die Vorsitzende hat lediglich formuliert, wie sie sich die CDU in Zukunft vorstellt, und siehe da – die neue Union passt zu den Grünen besser als zu SPD oder FDP.
Merkel bot ihre ganz persönliche Synthese aus evangelischer Akademie (selbst ein Psalm durfte nicht fehlen) und soziologischem Proseminar („Deutschland braucht die Rückkehr des Politischen“). Den Delegierten war Merkels Mischung ein wenig unheimlich. Doch von allen Parteichefs dieses Wahljahres hat sie am ehesten einen programmatischen Entwurf geboten. Gegenüber Rot-Grün ist das ein Fortschritt, denn die jetzige Regierung entzieht sich jeder Kritik. Ihre eigenen Maßstäbe enthält sie uns vor – und andere Maßstäbe als die eigenen akzeptiert sie nicht. Welche Politik Angela Merkel aus ihren Prinzipien ableitet, ist noch offen, aber immerhin kann man sie jetzt an Prinzipien messen.
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