Das EU-Flüchtlingspolitik in Afrika: Abschied von Dadaab
Das größte Flüchtlingslager der Welt liegt in Kenia. Eine Generation Somalier ist dort groß geworden. Nun soll es abgewickelt werden.
„Du musst anrufen, wenn ihr angekommen seid, und eure Lebensmittelrationen abholen“, erklärt der UNHCR-Mitarbeiter auf Somali. Mohammed, mit rot eingefärbtem Ziegenbart und ledriger Haut, drückt die Zettel an seine Brust. Sie sind sein Start in ein neues Leben, zurück in der alten Heimat.
Auf dem Rollfeld hinter dem weißen UN-Zelt röhren die Turbinen eines weißen UN-Flugzeugs. Die Luft flimmert in der Mittagshitze der Wüste. Die Grenze zu Somalia liegt knapp hundert Kilometer entfernt. Vor einem Vierteljahrhundert war Mohammed vor dem Krieg nach Kenia geflüchtet, wie Hunderttausende seiner Landsleute. Jetzt sollen sie zurück.
Dadaab ist das größte Flüchtlingslager der Welt. Gegründet 1992 für 30.000 Menschen, lebten dort 2012 eine halbe Million. Jetzt soll es dem Erdboden gleichgemacht werden.
„Es muss ein Ende damit haben, Flüchtlinge zu beherbergen“, verkündete Kenias Regierung im Mai 2016 und setzte die Schließung auf Ende November fest. Seitdem haben rund 17.000 Flüchtlinge ihre Habseligkeiten gepackt und sind mit UN-Maschinen ausgeflogen worden. Derzeit leben noch 275.000 Menschen in Dadaab.
Mehrmals täglich gehen die Flieger
Für die Rückkehrer hat man in Somalia vier „sichere Zonen“ definiert, darunter die Hauptstadt Mogadischu und Mohammeds Heimatstadt Baidoa im Herzen des Landes. 150 Dollar und Lebensmittel für sechs Monate bekommen Rückkehrwillige pro Person vom UNHCR.
Mehrfach täglich fliegt die UN-Maschine zwischen Dadaab und Baidoa hin und her. „Ich habe Verwandte dort, die Lage ist friedlich, und wir können bei ihnen unterkommen“, sagt Mohammed. „Es war keine einfache Entscheidung, aber ich will für meine Familie sorgen, wir brauchen eine Zukunft.“
Die Schließung Dadaabs ist umstritten. Kenias Regierung nennt als Gründe Terrorgefahr, Umweltzerstörung sowie Geldmangel. Auch Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud unterstützt den Plan. Er besuchte im Juni als erster somalischer Staatschef Dadaab und versprach seinen Landsleuten Unterkünfte, Bildung und Gesundheitsversorgung, wenn sie nach Hause kommen.
Nach wie vor Bürgerkrieg in Somalia
Wer dafür bezahlen soll, sagte er nicht. Internationale Hilfsorganisationen bauen erst langsam ihr Engagement in Somalia aus – es ist noch immer ein Bürgerkriegsland, islamistische Shabaab-Milizen kämpfen gegen die schwache Regierung und afrikanische Eingreiftruppen.
Doch es ist Wahlkampf in Somalia und in Kenia. Beide Präsidenten benutzen die Flüchtlingsfrage zum Stimmenfang. Kenia will die Flüchtlinge loswerden und Somalias Regierung will die Hilfsgelder, die vorher nach Dadaab flossen.
Die Heimkehr der somalischen Flüchtlinge ist auch für Europa relevant. 2015 haben 20.000 Somalier in EU-Mitgliedstaaten einen Asylantrag gestellt. Den meisten wurde stattgegeben, Somalia gilt als Kriegsgebiet, dorthin kann man nicht abschieben. Doch wenn jetzt massenweise Flüchtlinge aus Kenia zurückkehren, lässt sich Somalia vielleicht doch als sicher einstufen.
50 Millionen Euro investiert die EU in die Hilfsprogramme für Rückkehrer nach Somalia. In einem Strategiepapier, das der taz vorliegt, steht: „Es ist wichtig, keinen Druck auf die Flüchtlinge und Vertriebenen auszuüben, bevor nicht angemessene Sicherheit herrscht und Dienstleistungen eingerichtet sind.“
Frauen und Kinder wollen nicht weg
Nur wenige Kilometer vom Rollfeld in Dadaab entfernt sitzt Hawo Abdikadir Ahmed in einem der wenigen Steingebäude des Lagers hinter meterdicken schusssicheren Betonmauern. Das Gelände der internationalen Hilfsorganisationen wirkt mit seinen Tennisplätzen, Billardtischen und Blumengärten wie eine heile Welt im Vergleich zum Elend und Staub der Lagerlandschaft draußen. Die einsetzende Regenzeit hat den Wüstenboden in Matsch verwandelt, Gestank und Bakterien nehmen zu. Mit dem Regen kommt die Cholera nach Dadaab.
Die 28-jährige Hawo weint, während sie ihre Geschichte erzählt. 2007 gelang der Mutter von fünf Kindern die Flucht aus einem Vorort von Mogadischu, wo ein Milizkommandeur sie als Sexsklavin gefangen hielt. Sie sei damals schwanger gewesen, erzählt Hawa, heute besucht ihr Sohn die Schule im Lager. Mit zittriger Hand greift sie nach einer Falte ihres Kopftuchs und trocknet sich die Tränen. „Der Vater ist jetzt ein mächtiger Kommandeur, er hat mich angerufen und gesagt, wenn ich zurückkomme, muss ich ihm den Jungen als Kämpfer geben.“
Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel der neuen EU-Afrikapolitik ist es, Flüchtlinge und Migranten schon tief im Innern des Kontintents aufzuhalten. Die taz berichtet seit Mitte November in einem Rechercheschwerpunkt darüber, zu finden unter taz.de/migcontrol.
Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (cja)
Aus Verzweiflung hat sich Hawo an das Hilfswerk Care gewandt, das psychosoziale Betreuung anbietet. Die Warteschlangen seien im Moment besonders lang, sagt Fred Wanyonyi, Leiter des Care-Beratungsprogramms. „Die bevorstehende Lagerschließung verursacht Stress. Über die Entscheidung, nach Somalia zurückzukehren, zerstreiten sich die Familien.“ Die Männer wären meist dafür, weil sie das untätige Lagerleben leid seien. Die Frauen und Kinder möchten lieber bleiben, im Dezember stehen in den Schulen Prüfungen an. „Oft setzen die Männer ihren Willen mit Gewalt durch“, sagt Wanyonyi. Für die meisten Frauen und Kinder sei die Rückkehr „keine freiwillige“.
„Man will uns loswerden“
Trotz steigender häuslicher Gewalt muss Wanyonyi seine Sprechstunden reduzieren. Es fehlen Hilfsgelder; seitdem sich Kenia zur Schließung von Dadaab entscheiden hat, wickeln viele NGOs ihre Projekte ab. WFP hat Anfang Dezember die Lebensmittelrationen in Dadaab um die Hälfte reduziert. Selbst dafür fehlt also Geld.
„Man will uns loswerden, die Welt hat uns vergessen“, sagt Abdullahi Ali Aden, gewählter Flüchtlingsvertreter in Dagahaley, einer der fünf Dadaab-Siedlungen. Der junge Mann kam 1991 als 6-Jähriger nach Kenia, ist in den Lagern zur Schule gegangen, hat sein Diplom gemacht. An seine somalische Heimat kann er sich nicht erinnern. In fließendem Englisch warnt er: „Wenn jetzt alle jungen Männer zurückgeschickt werden, die dann in Somalia nicht zur Schule gehen können, werden sie von al-Shabaab rekrutiert.“
90 Prozent der verbliebenen Flüchtlinge in Dadaab möchten nicht nach Somalia zurück. Viele diskutieren, ob sie erneut fliehen sollen. Auch nach Europa? Aden lacht: „Wie sollen wir da hinkommen?“ Von Dadaab geht eine einzige Straße ab, gen Süden, abgeriegelt von Kenias Armee. „Der einzige Weg für uns führt nach Somalia.“
Kenias Armee steht aber auch jenseits der Grenze in Somalia bereit. In Kenias glitzernder Hauptstadt Nairobi, wo Aden in seinen 25 Jahren in Kenia noch nie war, haben somalische Shabaab-Kämpfer vor gut drei Jahren über 70 Menschen erschossen, als sie die Luxuswelt des Westgate-Einkaufszentrums stürmten – ein Racheakt für Kenias Einmarsch im somalischen Shabaab-Gebiet.
Krieg gegen Terror und Flüchtlinge
Die Flüchtlinge gerieten damals unter Generalverdacht. Kenias Antiterroreinheiten machten daraufhin auch in Dadaab Razzien, stellten Flüchtlinge vor Gericht. Seitdem kam es immer wieder zu neuen Anschlägen in Kenia. Die Regierung blies zum Krieg gegen den Terror – und gegen die Flüchtlinge.
Überall in Nairobi hängen Überwachungskameras, sind schwerbewaffnete Sicherheitskräfte postiert. „Koste es, was es wolle“, tönte Vizepräsident William Ruto 2015 und verkündete, Kenia werde eine Grenzmauer zu Somalia bauen: über 700 Kilometer lang, mitten durch die Wüste. Beton, Grenzanlagen, Überwachungskameras und Patrouillen-Fahrzeuge werden benötigt; auch deutsche Firmen haben sich für diesen Großauftrag interessiert. Letztlich erhielt die israelische Firma Magal Security den Zuschlag.
Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.
Kenianische Menschenrechtsgruppen ziehen jetzt vor Gericht, um die Schließung von Dadaab zu stoppen. Immerhin: Die Regierung hat die Frist zur Schließung auf Mai 2017 verlängert.
So lange will Amin Mohammed nicht warten. Der Familienvater fürchtet, Kenias Regierung könne sie bald mit Zwang abschieben, ohne die UN-Starthilfe. Da geht er lieber gleich, sagt er.
Die Propeller der weißen UN-Maschine wirbeln Staub auf. Der UNHCR-Mitarbeiter ruft zum Aufbruch. Mohammed steckt seine Zettel in die Jackentasche. Seine Frau nimmt das jüngste Kind auf den Arm. Schweigend trotten sie Richtung Flugzeug. „Allah wird uns beschützen“, murmelt Mohammed.
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