: Das Duell der PR-Profis
Washingtons Reaktion auf die neue Videobotschaft von Ussama Bin Laden dürfte ihm gefallen
von ERIC CHAUVISTRÉ
Es fehlte eigentlich nur der dunkelblaue Samtvorhang im Hintergrund – und vielleicht ein Rednerpult mit dem offiziellen Wappen der al-Qaida: Die am Wochenende von dem arabischen Sender al-Dschasira ausgestrahlten Videonachricht von Ussama Bin Laden hob sich in der Form von den vorangegangenen Verlautbarungen der al-Qaida deutlich ab. Auf dem Video, das zwar undatiert ist, offenbar aber nach Beginn der US-Luftangriffe am 7. Oktober aufgenommen wurde, zeigt sich der Al-Qaida-Führer zwar wie gewohnt in Kampfanzug und mit Maschinengewehr, doch schien er diesmal bemüht, seiner Ansprache den Eindruck einer nüchternen Analyse zu verleihen.
Wie ein geschulter PR-Profi berief sich Bin Laden auf „Meinungsumfragen“, um seine These von der Spaltung in eine „westliche“ und eine „islamische Welt“ zu untermauern: „Die Umfragen haben gezeigt, dass eine überwiegende Mehrheit der Söhne der islamischen Welt glücklich über diese Schläge war“, behauptete Bin Laden, „während ein wenig mehr als 80 Prozent“ der „Christen in den USA und anderswo“ mit Trauer reagierte hätten. Auch bei der Reaktion auf die Angriffe auf Afghanistan sei die Welt zweigeteilt. Diesmal sei das Verhältnis von Zustimmung und Ablehnung umgekehrt.
Dankbar griff Bin Laden das von Bush gelieferte Stichwort vom „Kreuzzug“ auf. Der Afghanistankrieg sei keine isolierte Schlacht, sondern nur „Teil einer Kette in einem langen, brutalen und hässlischen Krieg“.
In einer Kurzanalyse aller Krisen und Kriege in islamisch geprägten Regionen – von Palästina und Irak über Somalia und Sudan bis zu den Philippinen – attackierte Bin Laden nicht mehr allein die USA, sondern auch die Regierungen der arabischen Staaten („Heuchler“ und „Ungläubige“) und – in beachtlicher Härte – die Vereinten Nationen (UN) und ihren Generalsekretär Kofi Annan („Verbrecher“). Sowohl in Tschetschenien als auch in Bosnien sei die UN den Muslimen nicht zur Hilfe gekommen. Die Unterstützung der Vereinten Nationen für die Unabhängigkeit Osttimors interpretierte Bin Laden als Verschwörung gegen das islamische Indonesien.
Amerikanischen Medien berichteten am Wochenende nur in Kürze über die Ansprache. Nach der Ausstrahlung des letzten Bin-Laden-Videos hatte Präsident George W. Bushs Sicherheitsberaterin die US-Fernsehsender offen zur Selbstzensur aufgerufen.
Eine offizielle Reaktion der Bush-Regierung kam dennoch prompt: „Das ist weitere Propaganda, die zeigt, wie isoliert Bin Laden vom Rest der Welt ist“, sagte eine Sprecherin des Weißen Hauses. Andere Regierungsbeamte in Washington ließen sich von CNN mit den Worten zitieren, die Videobotschaft sei ein „Akt der Verzweiflung“. Fast wie kollegiale Ratschläge klingen die Hinweise aus der Umgebung des US-Präsidenten, Bin Laden könnte mit der Rede einen „großen Fehler“ gemacht und sich „unbehebbar geschädigt“ haben.
Für ganz so schlecht kann die US-Regierung die neue PR-Strategie des zum Hauptfeind erklärten Bin Ladens aber doch nicht halten. Denn das Weiße Haus sieht sich genötigt, seine Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Ein neu eingerichtetes „Coalition Information Center“ soll dabei helfen, die Reaktionen der US-Regierung auf die Erklärungen ihres most wanted man „überall in der Welt“ verbreiten zu können.
Nach dem Vorbild amerikanischer Wahlkampfzentralen – den so genannten war rooms – soll im Weißen Haus ein Lagezentrum eingerichtet werden, mit Nebenstellen in London und Islamabad. Vor allem die Berichterstattung durch den in Katar beheimateten Sender al-Dschasira, der jetzt das Video ausstrahlte, stellt die US-Regierung vor neue Probleme. Im Golfkrieg vor zehn Jahren hatte CNN und andere US-Sender praktisch noch ein Monopol über die Kriegsbilder.
Bin Laden dürfte die empfindlichen Reaktionen der US-Regierung auf seine Videobotschaft fast als Rehabilitation sehen. Denn erst letzte Woche hatte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Rolle des Al-Qaida-Chefs herunter gespielt. „Wenn er morgen weg wäre, würde das gleiche Problem weiterbestehen“, sagte Rumsfeld.
Jetzt steht Bin Laden wieder als Personifizierung des Bösen dar –und das könnte in seinem Sinne sein. Als ginge es ihm darum, dieses Bild abzusichern und sich als gleichwertiger Counterpart des US-Präsidenten darzustellen, kopierte Bin Laden Bushs Aufteilung in Gegner und Freunde. Sowohl die Angriffe auf New York und Washington als auch der Krieg in Afghanistan hätten die Menschheit „in zwei Hälften geteilt“. Die Muslime müssten den Gehalt dieses Konflikts verstehen. Dann wäre es „einfach für sie, zu bestimmen, wo sie stehen“.
Beim amerikanischen Präsident George W. Bush hatte das Mitte September ähnlich geklungen, als er in seiner an alle Regierungen gerichteten Ansprache vor dem US-Kongress sagte: „Entweder ihr steht auf unserer Seite, oder ihr gehört zu den Terroristen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen