Das DFB-Team bei der WM: Lust auf Wiederholung
Nach dem Auftakt spricht vieles für eine erfolgreiche WM des deutschen Teams. Die Erwartung der Fans ist groß, doch ein paar Zweifel bleiben.
Ein wenig werden gar Erinnerungen an den letzten Sommer wach. Nicht viel hatte man sich erwartet vom DFB-Team bei der EM 2022, erst recht nicht angesichts einer 2:3-Niederlage gegen Serbien vorab. Und dann siegten die Deutschen, denen manche ein Vorrundenaus prognostiziert hatten, plötzlich im ersten EM-Spiel 4:0 gegen Dänemark – und erreichten mit nur einem Gegentor das Finale.
Kein Zweifel, offenbar hat das deutsche Team Geschmack an Wiederholungsschleifen gefunden. Wieder eine schlechte Vorbereitung mit 2:3-Niederlage gegen einen Underdog, wieder ein rauschender Auftakt. Und wieder scheint alles möglich.
Es ist sonnig warm im Teamquartier im australischen Wyong, wo Verteidigerin Sara Doorsoun bemüht ist, Euphorie und Realismus nach dem 6:0-Sieg über Marokko zu versöhnen. „Die Euphorie war zu 100 Prozent da, das war ein Auftaktspiel, und das muss man erst mal 6:0 gewinnen“, sagt sie bestimmt. „Wir sind stolz auf unsere Leistung, aber wir können die einordnen.“
Das Kleingedruckte lesen
Einordnen heißt: Man weiß um das Niveau der ersten Gegnerinnen und um die Stärke der am Sonntag wartenden Kolumbianerinnen, und man weiß um die eigenen Schwächen. „Nach vorn gilt es immer noch, Automatismen zu entwickeln und noch mehr Gefahr auszustrahlen, in Effektivität in der Box umzuwandeln“, weiß Klara Bühl zu berichten. Für die Turnieraussichten muss man statt der sechs Tore schon das Kleingedruckte lesen. Da stehen die Aussichten gar nicht so übel.
Tatsächlich kommt diese WM aus DFB-Sicht womöglich zum besten Zeitpunkt. Die ältere Riege um Alexandra Popp und Svenja Huth befindet sich bei ihrem wohl letzten Anlauf zu einem WM-Titel auf dem Zenit ihres Könnens. Zeitgleich sind junge Spielerinnen wie die bisher ausgefallene Defensivleitwölfin Lena Oberdorf oder Jule Brand zu unverzichtbaren Säulen des Teams geworden. Ein ideales Zeitfenster mithin.
Wahrhaft überzeugend ist die enorme taktische und personelle Flexibilität, die das DFB-Team schon bei der EM 2022 auszeichnete und nun angesichts der Verletzungssorgen noch wichtiger geworden ist. Vorn glänzt eine höchst variable Offensive in permanenter Rotation. Das freudvolle Kombinationsspiel, das dem entspringt, sieht man bei deutschen Nationalteams derzeit sonst eher selten. Dieses Team macht Spaß, spielt lustvoll offensiv, statt pragmatisch, kann einander oft gleichwertig ersetzen. Und verfügt mit Alex Popp über das rare Glück einer Mittelstürmerin von Weltformat.
Spaß mit Absicherung
Zugleich bleibt da das gewisse Andererseits. Eine EM ist keine WM, und ohnehin vergisst man gern, dass sich die Deutschen im letzten Jahr etwa gegen Spanien mit Konterfußball verschanzen mussten, um zu bestehen. Ein uneingeschränkter Triumphzug war diese EM nicht. Wie solide der Spaß nach hinten abgesichert ist, bleibt eine offene Frage.
Dass das deutsche Team unter gegnerischem Pressing schnell mal den Ball verliert und dann auch nicht besonders flink hinterherkommt, dürfte den weiteren Turniergegnerinnen nicht entgangen sein, zumal sich die verletzungsgeplagte Abwehr nicht einspielen konnte. Dass man sich von Sambia auseinandernehmen ließ, wird nicht weniger blamabel angesichts der 0:5-Demontagen, die Sambia gegen Mitfavoritinnen Spanien und Japan erlitt. „Wichtig ist gegen Mannschaften, die auf Konter spielen, diese Balance, also neben der Abwehr eine zusätzliche Person zu haben, die absichert“, betont auch Bühl auf die Frage nach Lerneffekten, „um nicht in einen Gegenangriff zu laufen.“
Spanierinnen und Japanerinnen haben die Rückkehr des schönen und gepflegten Flachpassspiels in diese WM getragen, im Gegensatz zum eher brachialen Stil von England und USA. Deutschland ordnet sich in diesen beiden Welten ein wenig in der Mitte ein: Filigran und physisch zugleich, wenn es gut läuft. Mit Physis und Aggressivität eroberte man sich die Spielhoheit gegen Marokko zurück, als die Partie hätte kippen können. Die starke Bank könnte zusätzlich wieder zum Turniervorteil werden. Glücklich darf sich schätzen, wer sich leisten kann, von der Ersatzbank eine Lea Schüller zu bringen.
Gewiss schwingt beim vom DFB ersehnten dritten Stern aber noch ein anderes Narrativ mit. Das Jahr ist schlecht gelaufen für den Verband: Das Aushängeschild Männernationalteam liegt darnieder, die WM in Katar hat viele Gräben aufgeworfen und das Image des DFB ist durch die endlosen Schlammschlachten und Korruptionsaffären auf einem Tiefstand.
Die Hoffnungen des Verbands
Zwar betonen DFB-Verantwortliche immer wieder, dass ihnen ein gutes Abschneiden der Frauen unabhängig von der Situation der Männer wichtig sei. Aber kaum vorstellbar, dass man in Frankfurt nicht auch ein paar Hoffnungen darein legt, die Frauen mögen nun den Karren aus dem Dreck ziehen.
Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Norstat weist gar eine knappe Mehrheit von 52 Prozent in Deutschland nach, die das Frauenteam sympathischer findet als die Männer. „Ursprünglicher“, „bodenständiger“, „nahbarer“, auch der Einsatz für Gleichberechtigung überzeugt.
Beim DFB-Team scheint man um diese Erwartungshaltung zu wissen. Immer wieder betonen die Spielerinnen ihr gesellschaftliches Engagement, zuletzt mit einer Kooperation mit Common Goal, bei der ein Prozent ihrer WM-Prämie an soziale Projekte im Mädchenfußball spenden werden.
„Es zeichnet uns aus, dass wir über den Tellerrand schauen und einen Bezug haben zur Basis“, sagte Svenja Huth da. „Wir sind uns unserer Vorbildrolle bewusst und wollen auch außerhalb des Platzes vorangehen.“ Das konnte man durchaus als Abgrenzung zum Männerfußball lesen. Bodenständig und sozial, als Werbeträgerinnen für Fußball der Frauen und auf dem Platz erfolgreich – reichlich viele Erwartungen sind es, mit denen das DFB-Team sich da belegt. Helfen dürfte ihnen eines: die Sehnsucht von Fans nach ein bisschen Unbeschwertheit und Anstand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren