Das Bild der Kanzlerin im Ausland: Na, wie bin ich?
In der Eurokrise ist die weltpolitische Bedeutung von Angela Merkel gestiegen. Wie aber wird die Kanzlerin im Ausland wahrgenommen? Drei Sichtweisen.
USA: Beeindruckend uninteressant
Wie wir Amerikaner Maggie Thatcher vermissen! Ob man sie liebte oder hasste – und die Amerikaner taten beides –, die ehemalige britische Premierministerin war immer interessant. In den USA, wo sich die Bevölkerung wenig für ausländische Politiker interessiert, wurde ihr nun das größtmögliche Kompliment gemacht: Hollywood verfilmte ihr Leben.
Von all den Frauen, die an die Spitze der internationalen Politik gelangten, faszinierte uns allenfalls noch die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir, deren Lebensgeschichte in Broadway-Musicals verarbeitet wurde. Meir und Thatcher waren hart im Nehmen.
Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, sahen manche US-Medien in ihr eine deutsche Thatcher. Damals schien einiges dafür zu sprechen: Sie war das antikommunistische Produkt des ostdeutschen Dissidenten-Milieus. Ihr Wahlkampf ließ mutmaßen, dass eine Dosis von Thatchers marktfreundlicher Medizin genau das Richtige für Deutschland sei. Dazu war sie proamerikanischer eingestellt als ihr Vorgänger Gerhard Schröder.
CHARLES LANE, 50, ist Redakteur und Kommentator der US-amerikanischen Tageszeitung Washington Post. Zuvor arbeitete er unter anderem als Chefredakteur der Newsweek, der Zeitschrift The New Republic und als Deutschlandkorrespondent der Newsweek.
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ADAM KRZEMINSKI, 67, ist Publizist und Redakteur des polnischen Wochenmagazins Polityka. In Polen gilt er als einer der besten Kenner Deutschlands. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt der Essayband „Schuld & Sühne und Stolz & Vorurteil – Polen und Deutsche“.
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PHILIP OLTERMANN, 30, wuchs vor den Toren Hamburgs auf und lebt seit 1997 in England, wo er als Redakteur der Tageszeitung The Guardian arbeitet. Sein Buch „Keeping Up with the Germans: A History of Anglo-German Encounters“, erschien im Februar gerade bei Faber & Faber. (taz)
Merkel wurde aber nie dieser Rolle gerecht – und das nicht nur, weil sie aufgebracht reagierte, als George W. Bush ihr ungebeten eine Schultermassage beim G-8-Gipfel 2006 verpassen wollte. In ihrer ersten Legislaturperiode wich sie vom strikt marktwirtschaftlichen Kurs ab. Zudem tat sie nur das Minimum, um Amerika in Afghanistan zu helfen und beteiligte sich nicht an der Mission in Libyen. Die Kanzlerin wollte die pazifistisch eingestellte deutsche Bevölkerung nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegen.
Merkel verlängerte erst die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke, um nach Fukushima sich von der Kernenergie zu verabschieden – anstatt die damalige Panik in der deutschen Bevölkerung als Herausforderung zu begreifen. Zuletzt hatte sie in der Staatsschuldenkrise andere Ansichten als Barack Obama. Außerdem erschien sie nicht besonders berührt, als der amerikanische Präsident ihr letztes Jahr die Medal of Freedom verlieh und ihr zu Ehren im Weißen Haus ein Dinner gab.
Thatcher genoss den Konflikt mit der Europäischen Union. Merkel wiederum arbeitete daran, die EU zusammenzuhalten. Es ist allen klar, dass ihr Deutschland heute mehr Macht über Europa hat als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber Merkel macht daraus keine große Nummer.
Oder kann sich irgendjemand an einen erinnernswerten Satz aus einer ihrer Reden erinnern? Auf unserer Seite des Atlantiks tun wir uns jedenfalls schwer. Merkel erscheint uns als fordernde, aber auch milde, an Paragrafen festhaltende Regierungschefin – als eine, die stets bemüht und bedacht ist, ihre Anweisungen bilateral mit ihrem französischen Kollegen Nikolas Sarkozy zu verkünden.
Merkel übt ihre Macht äußerst professionell und pragmatisch aus und agiert nur im Notfall rücksichtlos. In den Augen eines Amerikaners wirkt sie – wie auch ihr Land – beeindruckend, aber nicht besonders interessant. Das könnte sich allerdings ändern, und das wird es auch vermutlich, wenn Merkels Politik scheitert und Europas Wirtschaftsprobleme auf Amerika übergreifen. Bisher gibt es jedenfalls nicht genug Drama, das für ein Drehbuch gereicht hätte.
CHARLES LANE (Übersetzung: Ulrich Goll)
Polen: Weitgehend verlässlich
Die im Westen offen bemitleideten und insgeheim gering geschätzten „Brüder und Schwestern aus der Soffjettzone“, wie sie Konrad Adenauer einmal nannte, haben es geschafft! Schon bald werden zwei Menschen zu den wichtigsten Gesichtern Europas gehören, die durch das Leben in der DDR-Provinz geprägt wurden. Joachim Gauck wird seine Europaidee für das 21. Jahrhundert noch präzisieren müssen.
Als Chef der „Gauck-Behörde“ und danach als Festredner war er vor allem rückwärtsgewandt. Seine öffentlichen Aktivitäten waren mehr gegen das Vergessen als auf die Lösung der heutigen Herausforderungen ausgerichtet. Deswegen stänkern in Deutschland junge Menschen auch, dass die „Generation Gauck“ keine Antworten auf die Probleme der Zeit habe.
Angela Merkel ist in einer besseren Position. Sie hat wunderbare Umfragewerte, und Deutschland ist wirtschaftlich Hauptnutznießer des Euros und politisch der Eurokrise. In Polen wettern die Nationalkonservativen, dass Merkel – mit dem Bild der Zarin Katharina auf dem Schreibtisch – mit Wladimir Putin dabei sei, Polen unter Deutschland und Russland aufzuteilen.
Bei den regierenden Liberalkonservativen von der Bürgerplattform hingegen hat Merkel einen guten Ruf. Nicht nur die Chemie zwischen ihr und Donald Tusk stimme, auch die halbwegs gemeinsame Danziger Heimat. Er ist Kaschube, ihre Großmutter wuchs in derselben Gegend auf.
Beide verbindet die „volksdemokratische“ Lebenserfahrung und politisches Talent für einen Zickzackkurs. Beide waren mal konservativ und fortschrittlich, neoliberal und sozial, vertraten heute das eine und morgen das Gegenteil. Und trotzdem kann man beiden eine gewisse Geradlinigkeit nicht absprechen.
In der polnischen Öffentlichkeit kommt Merkel gut an. Man rechnet ihr hoch an, dass sie schon oft die Rolle der Solidarnosc gewürdigt hat. Viele Kommentatoren ätzen allerdings, dass nette Worte nur für die polnische Öffentlichkeit bestimmt seien. So bereitete das Bundeskanzleramt 2009 die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer als deutsch-deutsches Event mit Beteiligung der Großmächte vor.
Es war die Berliner SPD, die es möglich gemacht hat, dass am 9. November Lech Walesa die Dominosteine am Brandenburger Tor symbolisch zu Fall bringen konnte. Auch wenn es nicht allein um politische Symbole, sondern um die Substanz einer gemeinsamen Vision von Europa geht, ist aus polnischer Perspektive auf Merkel Verlass – mit Abstrichen. Im Jahr 2007 parlierte sie zwar mit den Brüdern Kaczynski freundlich auf der Halbinsel Hela, setzte zugleich aber beim EU-Gipfel das störrische Brüderpaar mit der Drohung unter Druck, den Lissabon-Vertrag gegebenenfalls ohne Polen auszuhandeln.
Die Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit wirft ihr auch jetzt vor, dass sie trotz der angeblichen Anbiederung der Tusk-Regierung Polen außen vor lasse. Solange aber die „polnische Wirtschaft“ gut dasteht, hält die regierende Bürgerplattform das PiS-Gezänk nur für ein festes Element des Spiels. Auf Merkel ist Verlass – bislang zumindest.
ADAM KRZEMINSKI
Großbritannien: Ein bisschen Hitler ist immer
Nirgends zeigt sich das Ansehen von Politikern in der britischen Öffentlichkeit wie in den Editorial Cartoons der Zeitungen. Anders als in Deutschland geht es dabei weniger um strenge Analyse als um instinktive Wertschätzung: Je unbeliebter der Politiker, desto grotesker wird verzerrt. So wurde bei Gerald Scarfe von der Sunday Times aus der schwungvollen Margaret Thatcher ein menschenfressender Vampir, der charmante Tony Blair war am Ende bei Steve Bell im Guardian ein böse starrendes Riesenauge.
Angela Merkel konnte man vor Kurzem als echte eiserne Kanzlerin bewundern, samt Lederoutfit und Pickelhaube. Sollte man sich im Kanzleramt deswegen Sorgen machen? Kritik an der Politik, zu der Deutschland Europa zurzeit drängt, gibt es ausreichend.
Aus dem linken Lager beklagt man die protestantische Moralisierung der griechischen Schuldenlage, die selbstgefällige Ablehnung Keynes’scher Wachstums-strategien und die neue deutsche Blindheit für die eigene Geschichte: Basiert nicht der wirtschaftliche Erfolg nach 1945 auf so einem Wiederaufbauprogramm, das man den Griechen partout nicht bieten will? Die Härte, mit der Merkel die Riemen des EU-Budgets festschnüren wolle, so Larry Elliot im Guardian, erinnere an Leopold von Sacher-Masochs „Venus im Pelz“.
Unter den Konservativen gibt man sich sowieso skeptisch gegenüber dem gesamten europäischen Projekt – in diesen Tagen noch mehr als sonst. In den rechtsgerichteten Blättern wird routinemäßig die Geschichte von dem Vierten Reich aufgewärmt, in welches die Deutschen die EU umwandeln wollten. Was Hitler nicht schaffte, wolle man jetzt durch Handel und finanzielle Disziplin erzielen, behauptete Simon Heffer in der Daily Mail. Das deutsche Ideal eines politisch vereinten Europas ist gescheitert – da sind sich Linke wie Rechte einig.
Persönliche Attacken auf Merkel aber sind überraschend selten, selbst in der Boulevardpresse. Sicherlich hat das auch mit Verwirrung über ihre Person zu tun: Ist die deutsche Kanzlerin eine Rebellin gegen die Finanzmärkte oder nur ein Spielball der Banken? Ist sie eine Austeritätsideologin oder nur eine Karrierepolitikerin mit angelsächsischem Pragmatismus? In den letzten Monaten konnte man all diese Interpretationen in der englischen Presse lesen.
Ein anderer Grund mag sein, dass die Briten von Merkels Innenpolitik beeindruckt sind. Keine Woche vergeht zurzeit ohne Gastbeiträge von Politikern und Wirtschaftsweisen, in denen die Vorteile deutschen Arbeitsrechts, deutscher Landesbanken oder deutscher Ausbildungsprogramme gepriesen werden.
David Camerons Nein zur EU-Vertragsreform schien das Verhältnis zu Deutschland zerrüttet zu haben. Als richtiges Feindbild taugt Merkel deswegen aber noch nicht – erst recht nicht für Camerons konservative Partei, die genauso stur an ihrem Sparkurs festhält wie die deutsche Regierung. Inwiefern auf die kämpferischen Worte auch Handeln folgen wird, ist noch unklar.
Im Augenblick scheint sich der britische Premier mit seiner stockenden Reform des staatlichen Gesundheitsdiensts und der brodelnden Debatte um eine Unabhängigkeit größere Sorgen zu machen. In den Cartoons von Bell erscheint der britische Premierminister übrigens nur noch mit einem Kondom über dem Kopf.
PHILIP OLTERMANN
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