piwik no script img

Dänische Komödie „Therapie für Wikinger“Das Trauma im Märchenwald bewältigen

Anders Thomas Jensens tiefschwarze Komödie „Therapie für Wikinger“ erzählt von Männern, deren Identität auf Gewalt und zerstörtem Vertrauen fußt.

Manfred (Mads Mikkelsen) hält sich für John Lennon, sein Bruder Anker (Nikolaj Lie Kaas) sucht sein Geld: „Therapie für Wikinger“ Foto: Neue Visionen

Im mittelalterlichen Skandinavien war der Körper Kapital, Werkzeug und Waffe. Doch selbst die furchtlosesten Wikinger kannten die Macht des Wortes: Im altnordischen Recht war eine Beleidigung eine schwere Ehrverletzung. Wer einen Mann „argr“ nannte – also „unmännlich“ – konnte mit hohen Bußgeldern belegt werden, die so teuer waren wie die für eine Tötung. Ein verletztes Ego konnte mehr kosten als ein gebrochener Schädel.

In dieser Schnittmenge aus Gewalt und Psyche bewegt sich Anders Thomas Jensens Film „Therapie für Wikinger“. Sein Leitmotiv offenbart er zu Beginn: Wenn die Wirklichkeit für jemand ungerecht ist, muss sie für alle anderen angepasst werden.

Das funktioniert nur so halb. Jensen mutet seinem Publikum einen Spagat zu: Während man den beschädigten Psychen dabei zuschaut, wie sie ihre Wirklichkeit gegen jede Vernunft umbauen, drängt sich die Frage auf: Wie viel Wahnsinn kann eine Familie ertragen, bevor sie endgültig kollabiert?

Im Zentrum steht ein seltsames Brüderpaar. Anker (Nikolaj Lie Kaas), frisch entlassen nach fünfzehn Jahren Haft, will seine vergrabene Beute zurück. Doch sein Bruder Manfred (Mads Mikkelsen), der das Geld versteckt hat, schweigt über den genauen Ort. Er hat eine dissoziative Identitätsstörung (DIS), bei der Betroffene zwei oder mehr getrennte Persönlichkeiten entwickeln, die abwechselnd die Kontrolle übernehmen.

Der Film

„Therapie für Wikinger“. Regie: Anders Thomas Jensen. Mit Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas u.a. Dänemark 2025, 116 Min.

Derweil will Ankers alter Komplize Flemming (Nicolas Bro) die Beute ganz für sich und bedroht sie. Zudem hält sich Manfred seit Ankers Rückkehr für John Lennon. Anker nimmt ihn nicht ernst – und sein Bruder wird zunehmend suizidal. Sein Psychiater Lothar greift zu einer radikalen Methode: Er macht die Wahnvorstellung zur Realität – und gründet die Beatles neu.

Eine klaustrophobische Groteske

Zusammen mit zwei weiteren DIS-Patienten – Hamdan (Kardo Razzazi), der glaubt, Paul McCartney und George Harrison zugleich zu sein, und einem vermeintlichen Ringo – flieht die Truppe vor Flemming in ein abgelegenes Waldhaus. Während Anker ständig mit Spaten in den Wald verschwindet, um sein Geld zu suchen, das hinter den Mauern der Psyche seines Bruders verborgen liegt, entfaltet sich die eigentliche Geschichte: die traumatische Vergangenheit der Geschwister.

Was folgt, ist eine klaustrophobische Groteske zwischen Airbnb-Idylle und Traumabewältigung. Immer wieder zeigen Rückblenden dunkle Szenen der Brüder im Elternhaus. Wie sie vom Vater geschlagen werden, oft wegen Manfreds Beeinträchtigung – gipfelnd in der grausamen Bestrafung, den geliebten Hund vom benachbarten Förster töten zu lassen. Hier wirkt es, als glaubte Jensen, diese brutalen Szenen nur durch noch mehr Groteske auffangen zu können – und verliert dabei gelegentlich die Balance zwischen Zumutung und Überzeichnung.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Trailer „Therapie für Wikinger“

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Was an Jensens Zynismus in den Vorgängerfilmen „Adams Äpfel“ (2005) und „Helden der Wahrscheinlichkeit“ (2020) unterhaltsam war, wird hier unangenehm aufdringlich. Hamdan etwa hat mehr als zwei Persönlichkeiten, wechselt stetig zwischen Figuren aus der Geschichte: Mal ist er Björn von Abba, der während der Bandproben immer wieder den Gassenhauer „Chiquitita“ anstimmt, mal ist er SS-Reichsführer Heinrich Himmler, der betont, er sei nicht für den Holocaust verantwortlich. Haha, witzig, schwere Persönlichkeitsstörungen als großer Spaß für die ganze Familie. So sehr sich der Film als Komödie auch aus der Affäre ziehen kann, fühlt man sich als Zuschauer manchmal wie die beiden vom Vater für Nichtigkeiten bestraften Söhne. Als stünde der Regisseur mit erhobenem Vorschlaghammer vor der Zuschauerin und verlangte totales Lachen.

Auf Einzigartigkeit beharren

Vielleicht erfüllt die kalkulierte Grenzüberschreitung in einem Land wie Dänemark eine Art politische Funktion. Gilt dort doch „Janteloven“, jener unausgesprochene Verhaltenskodex, der mahnt, sich nicht für etwas Besonderes zu halten. Die Protagonisten im Film beanspruchen das Gegenteil: sie beharren auf ihrer Einzigartigkeit.

Dass der Film trotzdem nicht kollabiert, liegt an der dichten Inszenierung. Das grelle Grün lässt den Wald wie eine Märchenwelt wirken, während die Kamera die Enge des Waldhauses klaustrophobisch auskostet. Mads Mikkelsen spielt den Mann mit Beeinträchtigung mit einer fast schmerzhaften Zartheit; sein Blick flackert stets zwischen kindlicher Naivität und abgrundtiefer Panik. Nikolaj Lie Kaas bildet den perfekten Gegenpol: Er verkörpert den traumatisierten Anker als tickende Zeitbombe, deren Schutzpanzer langsam zerbröselt.Auch wenn das plakativ dargestellt ist, wird hier ein wichtiges Problem verhandelt: der Umgang mit Männern, deren Identität auf Gewalt und zerstörtem Vertrauen fußt. „Therapie für Wikinger“ ist spannender in seinen Momenten als in seiner Gesamtform. Statt einer klassischen Versöhnung drängt sich am Ende eine sympathisch verdrehte Philosophie auf: Wenn jeder kaputt ist, ist niemand kaputt.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare