DaMigra über die Demo am Frauentag: „Nicht nur Petras und Jörgs“
Der Migrantinnen*-Block von DaMigra läuft auf der Frauentags-Demo in Berlin ganz vorne. Nach Hanau demonstriert Delal Atmaca mit gemischten Gefühlen.
taz: Frau Atmaca, Sie laufen mit DaMigra auf der Frauentagsdemo an der Spitze. Was überwiegt nach Hanau: Wut oder Trauer?
Delal Atmaca: Beides. Wütend sind wir, weil wir als Dachverband von Migrantinnen in den vergangenen Jahren immer wieder auf Rassismus hingewiesen haben und nicht gehört wurden. Daneben berichten mir viele Frauen nach Hanau auch immer wieder von Trauer und Angst. Für viele von uns ist es sehr schmerzhaft zu erfahren, dass wir nicht geschützt werden. Am Sonntag gehen wir mit gemischten Gefühlen auf die Demo. Aber wir wollen zugleich zeigen, dass wir zu diesem Land gehören und über uns selbst bestimmen wollen. Wir fordern: Nur gemeinsam kann der gesellschaftliche Kampf gegen Sexismus und Rassismus gelingen. Und es müssen nun Taten folgen.
Wie sollen die aussehen?
Zunächst sollten alle Programme, Gesetze und Maßnahmen, die der Staat entwickelt, daraufhin geprüft werden, ob sie die Gleichstellung der Geschlechter und die Teilhabe von Migrantinnen* fördern. Zugleich muss der Staat schauen, wo er diskriminierende oder rassistische Institutionen und Gesetzgebungen hat, die abgebaut werden müssten.
52, ist Geschäftsführerin des Migrant:innen-Verbandes DaMigra und promovierte Ökonomin.
Konkret?
Zum Beispiel die Vorbehalte gegen den Art. 59 der Istanbulkonvention, die von Gewalt betroffenen Migrantinnen* keinen eigenen Aufenthaltstitel zugestehen. Zur Begründung heißt es, dies sei bereits im Ausländerrecht geregelt. In der Realität schützt es gewaltbetroffene Frauen überhaupt nicht. Sehr viele Frauen müssen jahrelang die Gewalt in der Beziehung erdulden, da sie sonst ihren – eheabhängigen – Aufenthaltsstatus verlieren würden. Geflüchtete Frauen können bei häuslicher Gewalt aufgrund der Wohnsitzauflage oft nicht einmal in ein Frauenhaus gehen, da freie Plätze in der gleichen Kommune sehr selten sind. Zudem kommt noch hinzu, dass es kaum Frauenhausplätze gibt oder die Beratungsstellen unterbesetzt sind.
Vor allem strukturelle Gewalt an Frauen wurde in Vergangenheit oft kleingeredet.
Die vom Bundesfamilienministerium entwickelte Kampagne „Stärker als Gewalt“ zeigt, wie viele Frauen hier zu Lande täglich von Gewalt betroffen sind. Allein im letzten Jahr wurden 135 Frauen und 15 Kinder von (Ex-)Partnern ermordet und weitere 63 lebensgefährlich verletzt. Frauen*morde und rassistische Attentate sind die Spitze des Eisbergs. Dazu sind Rassismen und Sexismus praktisch überall in der Gesellschaft wirksam: auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und bei der politischen Teilhabe.
Was ist das Wichtigste mit Blick auf den Frauenkampftag?
Der Demozug startet am 8. März um 14 Uhr am Leopoldplatz im Wedding und endet am Alexanderplatz mit einer Abschlusskundgebung.
Wir können nicht gegen Sexismus und Ungleichbehandlung kämpfen, ohne dabei auf Diversität zu achten. Frauenverbände müssen bei der Forderung nach einer Quote ihre eigenen Privilegien hinterfragen. Ein Paritätsgesetz muss divers gestaltet werden. Und damit ist nicht nur gemeint, dass mehr kulturelle Vielfalt in die Parlamente und Gremien einzieht. Die gesellschaftliche Vielfalt muss sich widerspiegeln. Wir brauchen keine Parlamente, die nur aus studierten Jörgs und Petras in den Mittfünfzigern bestehen. Wir brauchen Menschen diverser geschlechtlicher und sexueller Identitäten aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Milieus, um die Realität widerspiegeln zu können.
Wie gestaltet man Paritätsgesetze gerechter?
Indem Migrantinnen mit am Tisch sitzen und an Entscheidungsbildungsprozessen beteiligt sind. Wenn in Parlamenten nur 30 Prozent Frauen sitzen oder nur 5 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte, dann haben wir ein klares Demokratiedefizit. Auf die Frage, wer im Bundeskabinett eine Migrationsgeschichte hätte, antwortete Angela Merkel kürzlich beim Integrationsgipfel, die mittlerweile in Brüssel sitzende Katharina Barley hätte eine.
Ach wirklich?
Ich schätze Frau Barley sehr, aber ihre Migrationsgeschichte sieht man ihr nicht wirklich an – sie wird auf der Straße als weiß gelesen und für gewöhnlich nicht auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Wir brauchen in diesen Positionen auch Menschen, die als Minderheit gelesen werden und die Ausgrenzung erfahren mussten. In der Regel haben diese Menschen eine bessere Sensibilität für bestimmte Problemlagen. Wenn Menschen nicht selbst betroffen sind oder sich nicht mit ihren Privilegien kritisch auseinander gesetzt haben, fehlen die Zugänge dafür.
Delal Atmaca, DaMigra
Wenn Sie das quotieren wollen: An welchen Kriterien wollen Sie das dann formal festmachen? Am Namen? Am Aussehen? Stempelt man damit nicht marginalisierte Menschen wieder ab …
… nein! Das will ich nicht, aber sehen Sie: Ein Verband wie unserer, ein Dachverband der Migrantinnen hat doch Expertise in diesen Bereichen – bei uns sind Frauen unabhängig von Herkunft, Zugehörigkeit oder Mehrfachzugehörigkeiten organisiert. Unsere Mitgliedsorganisationen und die Frauen, die in diesen Vereinen organisiert sind, sind Expertinnen in verschiedensten Bereichen. Wir sind Ingenieurinnen, Journalistinnen, Ärztinnen, Arbeiterinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Handwerkerinnen etc. Wir können auch alles andere als nur „Migrationshintergrund“! Wir müssen ernsthaft einbezogen werden und nicht nur als Expertin für Migration. Nicht wie bisher: Bei einer Veranstaltung zum Paritätsgesetz war ich von Frauenverbänden eingeladen. Als ich dann sagte: Finden wir super, wir müssten aber schon genau schauen, wie divers dieses Gesetz wird, kommen sofort Einwände– vermutlich aus Angst vor dem Verlust von Privilegien.
Wie wird das begründet?
Es heißt: „Nein, lass uns erstmal schauen, dass wir Parität haben – und dann können wir über Diversität reden.“ Das sind die patriarchalen Argumente von vor 100 Jahren, als Frauen erstmals das Wahlrecht einforderten – und die hören wir jetzt selbst von Frauenverbänden. Ihnen muss klar werden: Es ist ein Fehlschluss zu denken, dass ich weniger Freiheiten habe, wenn ich meine Freiheit teile. Wir sind nur dann stark, wenn wir die Macht teilen und solidarisch miteinander sind.
Wie schwer ist es, sich innerhalb der Frauenbewegung zu positionieren und durchzusetzen?
Es gibt nicht die Frauenbewegung in Deutschland. Wir sind mit sehr vielen Strömungen und Feminismen konfrontiert. Mit vielen Verbänden ist es ein täglicher Kampf, der teilweise sehr subtil abläuft. Wenn wir etwa fragen, warum wir nicht einbezogen wurden, heißt es: „Ah, vergessen!“ Oder wenn wir Themen benennen, sagt jemand fast schon banal: „Ihr wieder mit eurer Extra-Wurst.“
Und wenn Sie das ansprechen?
Selbst wenn wir sehr direkt sind und sagen, dass das Vorgehen diskriminierend oder rassistisch ist, wird uns gesagt, das sei nicht so. Sie haben die Definitionsmacht. Sie entscheiden, wie wir zu fühlen und zu denken haben. Das ist deshalb auch so schmerzhaft, da viele dieser Frauen in der Auseinandersetzung mit Macht und Privilegien der Männer genau so argumentieren wie wir. Manchmal rollen sie auch nur die Augen oder schauen weg.
Woran liegt das?
Viele Menschen sind sich ihrer eigenen Privilegien oder Rassismen gar nicht bewusst. Selbst bei Feministinnen oder bei Linken, wo man eine gewisse Sensibilität erwarten würde. Warum sollte es in Frauenverbänden auch anders sein? Sie bilden auch nur die Rassismen der Gesellschaft ab. Wieviele Frauenverbände sind nach Hanau oder Halle auf die Straßegegangen? Wieviele haben sich mit Migrantinnen solidarisch erklärt? Wie viele waren bei den Angehörigen? Und wenn jetzt demonstriert wird, geht es meist um die eigenen verwehrten Privilegien, Macht und Themen. Gleichzeitig gibt es natürlich auch eine Vielzahl von kritischen und tollen Feministinnen, die sehr wohl ihre Machtstrukturen reflektieren und mit denen wir gerne auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Was ist in Deutschland so kaputt, dass man Menschen nicht aus Schubladen rauslässt?
Es hängt viel am gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Rassismus ist viel tiefer in der Gesellschaft und ihren Institutionen verankert, als wir das auf den ersten Blick sehen. Aber nicht nur Rassismus sondern auch Sexismus. Wenn wir uns das als Gesellschaft nicht eingestehen, können wir beides nicht bekämpfen. Gerade die deutsche Gesellschaft tut sich besonders schwer damit. So lange in den Parlamenten, in den Strafverfolgungsbehörden, in den sozialen Medien und in persönlichen Begegnungen nicht entschieden gegen Rechtspopulismus, Frauenhass und Rassismus vorgegangen wird, wird sich nichts an dem gesellschaftlichen Klima ändern, das Gewalttaten wie die in Hanau erst ermöglichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen