: „Da war ich Opfer“
Sachsen-Anhalts Regierungschef Höppner (SPD) zum Akten-Streit
taz: Sie haben das Gerichtsurteil zu den Kohl-Akten als „verständlich“ bezeichnet. Sie folgen der Begründung?
Reinhard Höppner: Ich habe mich darüber geärgert, dass es bisher eine Ungleichbehandlung zwischen Ost und West gegeben hat. Diese ist natürlich nach dem Gerichtsurteil nicht mehr auszuräumen. Deswegen wird es wichtig sein, künftig zu vermeiden, dass Personen mit westlicher Herkunft anders behandelt werden als solche aus dem Osten. Insofern bedaure ich das Urteil.
Sie sehen also Änderungsbedarf beim Stasi-Unterlagen-Gesetz?
Die bisherige Rechtspraxis, Akten über Personen der Zeitgeschichte herauszugeben und diese selbst nicht darüber zu informieren, ist mehr als problematisch. Ich halte es allerdings für schlecht, wenn die potenziell Betroffenen selbst Vorschläge unterbreiten und dadurch in Verdacht geraten, in eigener Sache zu agieren und möglicherweise etwas verdecken wollen.
Sie meinen Helmut Kohl?
Herr Kohl konnte es sich als Bundeskanzler a. D. wohl leisten, mit seiner Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht eine solche Debatte vom Zaun zu brechen. Diese Chance hätte eine Person der Zeitgeschichte, die im Osten aufgewachsen ist, nie gehabt. Da wären Vorwürfe erhoben worden, die politisch kaum durchzuhalten gewesen wären.
Spielen Sie auf Ihre eigene Erfahrungen mit der Gauck-Behörde an?
Jedenfalls habe ich erlebt, dass Akten über mich herausgegeben wurden, ohne dass ich auch nur eine Ahnung davon hatte. Da war ich zweifelsfrei Opfer.
Sie wollen das Gesetz „von Grund auf“ diskutieren. Es reicht nicht, die Bestimmungen zu präzisieren?
Die Vorschläge müssen von Leuten kommen, die nicht unmittelbar betroffen sind – die entweder keine Personen der Zeitgeschichte sind oder in den Akten überhaupt nicht genannt werden.
Innenminister Otto Schily hat ja schon recht konkrete Vorstellungen. Er will die Herausgabe von Akten über Personen der Zeitgeschichte von deren Zustimmung abhängig machen.
Das wird nicht reichen. Da bedarf es noch anderer Kriterien. Die jetzige Diskussion ist sehr rückwärts gewandt. Wir müssen sehen, wie wir vernünftig vorankommen – ohne dass es erneut zu Ungleichbehandlungen zwischen Ost und West kommt. Das Urteil ist im Osten kaum plausibel zu machen.
INTERVIEW: NICOLE MASCHLER
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