DIE WAHRHEIT: Das Gejammer der Doofmenschen
Lange habe ich nichts mehr vom Ungeheuer von Loch Ness gehört. Vielleicht weil es das drollige langhalsige Monster Nessie gar nicht gibt? ...
... Wer weiß, da könnte ein Zusammenhang bestehen. Aber nicht zwingend. Es gibt ja auch andere Phänomene, die nachweislich nicht existieren, aber ständig aus den medialen Sommerlöchern auftauchen. Die beliebteste Legende der letzten Jahre ist die von der Existenz eines funktionierenden Denk- und Sprechverbots namens "Political Correctness".
Kaum wird hierzulande eine politische oder publizistische Krawallschachtel wie Hans-Olaf Henkel, Thilo Sarrazin oder Guido Westerwelle öffentlich kritisiert, sitzt Arnulf Baring, ein Mann ohne jegliche Manieren und Stil, in der nächsten Talkshow und prangert in komplett wirren und entgrenzten Monologen die linke Zensur in Deutschland an. Lustig daran ist, dass der hemmungslose Greis sich dabei benimmt, als wolle er selbst gern jeder Person, die nicht Arnulf Baring heißt, das Reden verbieten. Und trotzdem wird er in schöner Regelmäßigkeit in solche Sendungen eingeladen. Wie neuerdings auch Jan Fleischhauer vom Spiegel, der unter dem unglaublichen Trauma leidet, von Sozialdemokraten großgezogen worden zu sein, und sich dieses Elend in einem Buch von der Seele geschrieben hat. Darin schwadroniert er verschwörungstheoretisch von einer linken Medien- und Kultur-Hegemonie in Deutschland. Ach Gottchen, möchte man angesichts all der Neokonservativen und Unpolitischen in diesem Gewerbe seufzen, schön wärs.
Tatsächlich ist es aber seit einiger Zeit sogar hip, herumzukrakeelen, man sei aus Überzeugung "politisch unkorrekt" und spreche nur aus, was viele denken. Leider sind nahezu alle Personen, die dies tun, wahlweise stuhldumm, vollkommen irre oder Rassisten. Sie sehen es als ihr Menschenrecht an, Arbeitslose endlich wieder als asozial und Homosexuelle als pervers zu bezeichnen - oder eben Orientalen einen geringeren IQ anzudichten. Und das bitte schön unwidersprochen.
Im Zusammenhang mit dem Gejammer über die Political Correctness fällt auch gern das Wort "Gutmensch". Zugegeben: Eine Zeitlang haben auch vernünftige Leute diesen Begriff benutzt, um linksevangelische Quarkrederei zu geißeln. Inzwischen ist es aber das Lieblingsschimpfwort von NPDlern, Junge-Freiheit-Redakteuren und Marktradikalen. Was nicht überrascht, weil auch Joseph Goebbels es schon gebrauchte.
Deswegen hat es auch keinen Sinn mit Doofmenschen, die das Wort "Gutmenschen" verwenden, zu diskutieren. Argumenten sind Paranoiker ja nicht zugänglich. Bleibt eigentlich nur, sie zu hänseln, aber auch da muss man aufpassen: Schwupps bringen Sie ein "Aspekte"-Kamerateam nach Kreuzberg mit und drehen eine "Ich werde verfolgt"-Doku. Aber als "Die Hard"- und Bruce-Willis-Fan hätte Thilo S. eigentlich wissen müssen, was passiert, wenn man mit einem "I hate niggers"-Schild durch Harlem läuft. Interessanterweise passierte aber genau das nicht. Der Pöbler wurde ein bisschen angepöbelt. Das wars.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste