DFB suspendiert Bundestrainer Flick: Erdrückende Indizien
Nach der 1:4-Niederlage des DFB-Teams gegen Japan wird nicht nur in Verbandskreisen über die Nachfolge von Ex-Bundestrainer Hansi Flick diskutiert.
Rudi Völler, DFB-Sportdirektor
Am Sitz des größten deutschen Autobauers hatten die Japaner bemerkenswerte Fortschritte aufgeführt und gleichzeitig ganz Deutschland vor die große Sinnfrage gestellt: Ist die Fußball-Nationalmannschaft gerade das Spiegelbild dafür, wie der Anschluss in vielen Bereichen an die Weltspitze verloren geht?
Die gellenden Pfiffe in der Autostadt für die Demontage des vierfachen Weltmeisters gegen die schon bei der WM siegreichen Japaner gaben Zeugnis für die Endzeitstimmung, die neun Monate vor einer EM im eigenen Land zu herrschen scheint. Hansi Flick konnte nach dem 1:4 von Wolfsburg nicht mehr bleiben, folgerichtig wurde er am Sonntagnachmittag vom DFB freigestellt. Aktuell verkörpert die Mannschaft nicht mal mehr Mittelmaß.
Es ist ein Team, das sich gegen Polen, Kolumbien und Japan mit Ansage vorne festrennt, hinten stolpert – und am Ende verdient verliert. Der schon ohne Kompass durch die katarische Wüste irrende Ex-Bundestrainer hatte den Kredit aufgebraucht. Ohne Torhüter Marc-André ter Stegen hätte es die höchste Heimniederlage seit einem denkwürdigen 1:5 gegen England im Münchner Olympiastadion 2001 gegeben.
Teamchef war damals jener Rudi Völler, der als Sportdirektor am Sonntagvormittag zum öffentlichen Training im Stadion neben der Arena 2.376 Fans begrüßte. „Selbstverständlich, dass wir uns hier stellen“, rief Völler, während Flick beim Autogrammeschreiben versprach: „Ich fighte weiter!“ Der 58-Jährige ahnte natürlich, dass er als Fußballlehrer auf Abruf arbeitet. Im Profifußball sei „viel Dynamik drin“, merkte Flick zuvor an.
Eine Frage der Basics
Selbst Völler hatte sich so „schockiert“ gezeigt, dass er in der Nacht keine Jobgarantie für den Bundestrainer mehr aussprach. Man müsse sich „erst einmal sammeln und beruhigen“. Der 63-Jährige hat seinen Schutzschild also weggezogen. Die Indizien gegen Flick waren erdrückend, und so steht der Nachfolger von Joachim Löw beim Länderspiel gegen Frankreich in Dortmund (Dienstag, 21 Uhr/ARD) nicht in der Coachingzone. Nach der Lektion am Mittellandkanal behauptete Flick in Verkennung der Realität, dass sein Trainerteam sich wenig vorzuwerfen habe: „Ich finde, wir machen das gut, und ich bin der richtige Trainer.“
Man müsse verstehen, dass „Japan toll ausgebildete Fußballer haben – sie haben die Basics drauf.“ Und seine beim FC Barcelona oder FC Arsenal, FC Bayern und Borussia Dortmund angestellten Stars nicht mehr? Es sind auch solche sonderbaren Erklärungen, die den der floskelhaften Rhetorik überführten Bundestrainer selbst im Verband isolieren. Die Öffentlichkeit hat ohnehin längst vom Flick-Werk genug. So viel Gespür müssten DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Liga-Boss Hans-Joachim Watzke mitbringen, dass es schleunigst einen Neuanfang braucht.
Mehrere Optionen werden dem Vernehmen nach im Verband diskutiert, der sich am Sitz des DFB-Sponsors zur Krisensitzung versammelte: Am wahrscheinlichsten ist, dass Matthias Sammer bis zur EM übernimmt – auch wenn der als Berater bei Borussia Dortmund eingebundene „Feuerkopf“ seit fast zwei Jahrzehnten kein Team mehr trainiert hat. Danach würde sich der DFB ernsthaft um Jürgen Klopp bemühen, der bis 2026 an den FC Liverpool gebunden ist.
Wenn sich solche Pläne nicht realisieren ließen – beide würde Watzke maßgeblich über sein Netzwerk vorantreiben –, könnte ab 2024 auch Ralf Rangnick zum Thema werden, der erst einmal Österreich zur EM nach Deutschland führen will. Den schwäbischen Projektleiter wollte vor zwei Jahren der machthungrige Ex-Direktor Oliver Bierhoff nicht holen. Sofort verfügbar wäre Julian Nagelsmann, nach seiner Freistellung beim FC Bayern ohne Anstellung. Intern macht als letzte Option noch ein Notfallplan mit Horst Hrubesch die Runde. Und wie wäre es mal mit einem Blick über die Landesgrenzen?
Neuendorf und Watzke haben nach der WM den Schnitt versäumt. Die zuletzt über den Kinderfußball streitenden Bosse von DFB und DFL verfolgten mit versteinerten Mienen, wie die taktisch und technisch perfekt aufeinander abgestimmten Gäste aus Fernost die fast lächerliche deutsche Abwehrhaltung bestraften, in der sich das nächste sinnfreie Experiment mit Nico Schlotterbeck als Linksverteidiger zum Rohrkrepierer auswuchs.
Wenn Franzosen übermorgen nur ein bisschen Ernst machen, setzt es gleich noch eine Lehrstunde für eine tief verunsicherte Mannschaft, der es an Haltung und Zusammenhalt, Autorität und Automatismen mangelt. Wer gedacht hätte, mit dem Ende der Flick’schen Experimentierreihe würde alles besser, sah bloß ein paralysiertes Ensemble, das seit der WM in elementaren Bereichen noch schlechter geworden ist.
„Vielleicht denken wir auch, dass wir besser sind, als wir eigentlich sind“, sagte Ilkay Gündogan. Der Kapitän leitete aus dem Trend ab: „Irgendwann liegen Anspruch und Realität so weit voneinander entfernt, dass man akzeptieren muss, dass man gerade nicht gut genug ist.“ Der 32-Jährige ist nur einer von vielen internationalen Topkräften, die im Trikot mit dem Bundesadler zum Mitläufer verzwergen.
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