DFB-Elf vor der WM in Katar: Ende des Aufbruchs
Nach dem 3:3 in England geht die DFB-Auswahl reichlich ratlos in die letzte Vorbereitungsphase auf die WM. Kaum einer weiß, was das Team kann.

Keiner der deutschen Protagonisten – mit Ausnahme des spät eingewechselten Thomas Müller – wollte später in der Mixed Zone etwas sagen. Dafür sprach Bundestrainer Hansi Flick. Der 57-Jährige hat in seinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, dass er seine Mitmenschen besser erreicht, wenn das Glas noch halb voll und nicht schon halb leer ist. „Ich bin von Haus aus positiv“, stellte er seiner nun folgenden Grundsatzerklärung voran. Und versprach sogleich: „Wenn wir uns am 13./14. November treffen, gehen wir mit einem positiven Gefühl zur WM. Viele Sachen haben wir gut gemacht.“ Und: „Ich bin eher ein Trainer, der die Spieler lieber einen Kopf größer macht. Das bringt am Ende vielleicht den einen oder anderen Sieg mehr.“
Gleichwohl war seine Mannschaft vor der Reise in den Oman, wo man sich mitsamt einem Testspiel für die WM auf der Arabischen Halbinsel akklimatisieren will, ein siegreiches Signal schuldig geblieben. Auch DFB-Direktor Oliver Bierhoff war mächtig verärgert über das verpasste Erfolgserlebnis: Der 54-Jährige spürt, wie die im ersten Flick-Jahr geschürte Aufbruchsstimmung verfliegt.
Das DFB-Team hat von sechs Nations-League-Partien gegen England, Italien und Ungarn nur eine gewonnen – gegen die B-Elf des nicht für die WM qualifizierten Europameisters Italien. Gegen keine Topnation zog die Mannschaft den Plan bislang über die volle Spielzeit durch; das mag ja im Gegensatz zu WM 2018 diesmal in der Gruppenphase gegen Japan, Spanien und Costa Rica gutgehen, aber schon in einem WM-Achtelfinale gegen Belgien oder Kroatien wäre Deutschland nicht mehr Favorit. Zwar gilt der Fokus zunächst nur dem WM-Auftakt gegen enorm selbstbewusste Japaner (23. November), aber ein Titelanwärter ist der vierfache Weltmeister mitnichten.
Nur 20 gute Minuten
Die Leistungsschwankungen in Leipzig und London waren enorm. Darüber können auch die von Flick herausgehobenen „20 Minuten wirklich guten Fußball[s]“ am Montagabend nicht hinwegtäuschen. Die Lockerheit von Jungspund Jamal Musiala – zusammen mit Torwart Marc-André ter Stegen und Doppeltorschütze Kai Havertz der einzige Gewinner dieser Länderspiele – ging den meisten Akteuren ab. Das Dilemma: Das Trainerteam hätte eigentlich bis zur Endrunde im Golf-Emirat ganz viel Arbeit, aber Flick hat keine Zeit, mit seinen Spielern zu arbeiten. Auf die meisten seiner Protagonisten warten jetzt ein Herbstprogramm mit 13 Partien in Europapokal, Bundesliga und DFB-Pokal.
Das Einzige, was Flick tun kann: möglichst viele Spiele davon selbst beobachten („bin ich den Spielern schuldig“), über eine digitale Plattform („Players Lounge“) verschiedene Inhalte zu teilen und persönliche Gespräche führen. Er riet bereits, „dass jeder Einzelne in dieser Zeit noch an sich arbeitet, für bessere Fitness, Sicherheit, Überzeugung, Passspiel. Da müssen wir noch besser werden. Das ist notwendig.“ Schließlich kam in der ersten Halbzeit kaum ein Spielzug im letzten Drittel zustande, alles war zu ungenau, zu verhalten angelegt.
Zudem erschreckend, wieso ein 2:0-Vorsprung in diesem Prestigeduell so naiv verspielt wurde. Luke Shaw, Jason Mount und Harry Kane demonstrierten binnen elf Minuten, dass ein Topverteidiger wie Antonio Rüdiger auf deutscher Seite nicht fehlen sollte; einmal mehr verschuldete Vertreter Nico Schlotterbeck ungeschickt einen Strafstoß. Die plötzliche Feierlaune der zeitweise bereits völlig verstummten 78.949 Fans verdarb ein traditionell patzender englischer Keeper in Person von Nick Pope. Flick wusste: „So können wir das besser verkraften als eine Niederlage. Nicht aufzugeben ist das, was wir brauchen.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier