DFB-Abschied von Thomas Müller: Einparken im Kleinstraum
Mit Thomas Müller verliert die DFB-Elf einen Meister des effektiven Spiels. Nur wieso verkündet der Bayern-Profi den Rücktritt im Bierhoff-Stil?
G roße Turniere sind immer auch Zeiten des Abschieds. Kaum dass irgendwer den Pokal in die Höhe gestemmt hat, kommen frisch aus dem Eisbad die Altvorderen – jene lieb- oder auch bösgewonnenen Gesichter, die die Zuschauenden seit Jahren oder gar Jahrzehnten begleitet haben – und verkünden ihre Rücktritte. Es gibt Blumen, pathetische Rückblicke, Bilderstrecken.
Nun hat es auch den ewig lausbübischen Thomas Müller erwischt, Kampfname „Der Wurschtler“. In einem eigens produzierten Abschiedsvideo sagte er im Tonfall eines Oberstufenreferates der Nationalmannschaft „Servus“. Es ist ein bitter dröges Video mit Fotoslides, im Hintergrund läuft Warteschleifenmusik, und Thomas Müller leiert seine Texte herunter, die vielleicht ein ausgebildeter Bankberater für ihn vorformuliert hat.
An der Machart wird schon auch deutlich, dass da ein Teil von „Die Mannschaft“ geht, diesem Bierhoff’schen Marketingkonstrukt, das immer versucht hat, eine Nähe zu den Fans zu simulieren, ohne sie je ernst zu nehmen. Fans waren für Bierhoff bestenfalls Klatschpappenhalter*innen, Bildmaterial für die Fernsehkameras, Verfügungsmasse zur Inszenierung der Fußballermarken auf dem Platz. Auch das hat sich während dieser EM jetzt geändert, Ton und Haltung der neuen Nationalmannschaft unter Julian Nagelsmann sind gleichermaßen bescheidener und nahbarer, als es in dieser Businesskasper-Zeit unter Bierhoff der Fall war.
Sinn fürs Anarchische
Trotzdem bitter, dass Thomas Müller jetzt bei seinem Abschied auf diese schlecht durchgescriptete Ästhetik zurückgreift, der wir sehr viele uninteressante Dokumentationen zu verdanken haben. Ausgerechnet Thomas Müller, möchte man sagen, der doch immer durch seine Unkonventionalität, Spontanität und diesen gewissen bayerischen Sinn fürs Anarchische aufgefallen war. Als wär aus dem Lausbub jetzt doch noch was Vernünftiges geworden – ein Mitarbeiter beim Landesvermessungsamt Bayern zum Beispiel.
Thomas Müller war kein Zauberer am Ball, kein Genie der Beherrschung des Spielgeräts. Was er beherrschte, war etwas anderes: Er beherrschte viel besser als andere die Möglichkeiten, die der Platz ihm bot. Vor allem anderen ist er ein Nonkonformist, der denkt: In diese bobbycargroße Lücke könnte mein Škoda gut reinpassen.
Man hat ihn oft einen Raumdeuter genannt, dabei war er eher ein Raumerkenner, weil er – anders als zum Beispiel Cruyff oder andere große Spielmacher*innen – die Räume nie wirklich geschaffen hat, sondern sich schlicht sehr gut hineingeparkt bekam. Und wenn sich dann die Möglichkeit bot, mit seinen viel zu dürren Haxen an den Ball zu kommen, kam er auch an den Ball ohne viel Federlesen; Müllertore sind von einer erstaunlichen Schlichtheit. Zackbumm. Er ist ein Interpret des Spiels und keiner, der es schreibt.
Das verstanden zu haben, gehört zu seinen größten Qualitäten; es grämt ihn nicht. Thomas Müller ist jemand, der das Spiel über den Platz hinausdenkt, der an die Gemeinschaft denkt, die eine Mannschaft sein muss. Einem Sandro Wagner nicht unähnlich, ist er nicht deswegen Type, weil ihn die Eitelkeit zwingt, sondern weil er verstanden hat, dass es Typen wie ihn braucht.
Dass er jetzt noch ein Jahr bei Bayern München spielt, dass sein Vertrag verlängert wurde, liegt vermutlich gar nicht an seinen inzwischen relativ übersichtlichen Leistungsdaten, sondern weil er nicht nur als Integrationsfigur taugt, sondern eben auch eine ist: Thomas Müller hat nie mehr versprochen als er geliefert hat. Das macht ihn zum Link zwischen der Ära Bierhoff und der Ära Rudi Völler/Julian Nagelsmann.
Wenn es ganz dumm läuft, das heißt, wenn der FCB weder CL- noch DFB-Pokal-Finale erreicht, wird nächstes Jahr Thomas Müller seine Karriere in Hoffenheim beenden. Das wäre traurig für ihn, aber die Ära Bierhoff käme da immerhin zu ihrem berechtigten Ende.
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