DER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH PER PILLE WURDE POLITISCH VERHINDERT: Keine freie Wahl
Das Merkwürdige an Klischees ist, dass sie oft einen wahren Kern beinhalten. Beispiel Medizin: Da sind einerseits Ärzte und Pharmafirmen, die – geprägt von Raffgier und Gewinnstreben – Hilfesuchenden schon mal die beste Behandlung vorenthalten, wenn sie sich ökonomisch nicht lohnt. Auf der anderen Seite die Patienten: immer in Gefahr, nicht optimal betreut und Opfer einer Zwei-Klassen-Medizin zu werden. In der gegenwärtigen Debatte um die Abtreibungspille „Mifegyne“ trifft dieses Klischee zu – wenn auch vordergründig.
Jahrelang wurde debattiert, ob Mifegyne in Deutschland zugelassen werden sollte. Frauen werde die Abtreibung „zu leicht“ gemacht, hieß es von Gegnern der Zulassung. Im November 1999 war es dann so weit, Mifegyne wurde auf den Markt gebracht. Allerdings darf es – um Missbrauch zu verhindern – nur direkt an Ärzte ausgeliefert werden. Das kostete die Firma Femagen 30 Mark pro Sendung. Jetzt gab das Unternehmen bekannt, dass es den Vertrieb des Medikaments einstellen will.
Die Ärzte haben von der medikamentösen Abtreibung nicht profitieren können und daher das Mittel kaum angefordert. Mit etwa 280 Mark wurde die Behandlung vergütet. Davon entfielen 160 Mark auf die Pille, woran die Ärzte nichts verdienten. Für einen operativen Abbruch hingegen erhalten Ärzte bis zu 650 Mark. Ergebnis: Viele Gynäkologen boten die Abtreibung per Pille gar nicht an. Nur 4,5 Prozent aller Abtreibungen in Deutschland wurden im ersten Quartal des Jahres medikamentös vorgenommen. Durch das Honorarsystem, das den Ärzten in diesem Fall die Wahl lässt, den Wünschen der Frauen nicht zu entsprechen oder patientenorientiert, aber unrentabel zu arbeiten, wurde die „Pillenabtreibung“ Frauen in der Tat nicht leicht gemacht. Was den Gegnern eines Abbruchs mit Mifegyne durch weltanschauliche Argumente vor Jahresfrist nicht gelang, erreichten sie nun mit den Gesetzmäßigkeiten des Marktes.
Und der wurde politisch reguliert. Die Honorare werden vom Bewertungsausschuss mit Vertretern der Kassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung festgelegt. Trotz massiver Proteste, eine Neubewertung der ärztlichen Leistungen im Fall des Schwangerschaftsabbruchs vorzunehmen, hat sich nichts getan. In Ländern wie Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg werden zwar Zuzahlungen zur Nachsorge geleistet. Die Gegner der Zulassung von Mifegyne sind mit Hilfe der niedrigen Bewertung jedoch vorerst erfolgreich: Das Mittel hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt. Benachteiligt davon sind die Ärzte, die Firma Femagen – ach ja, und die Patientinnen, die keine freie Wahl des Abbruchs mehr haben. WERNER BARTENS
Der Autor ist Redakteur der „Badischen Zeitung“
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