DER GESETZESBRECHER HELMUT KOHL SOLLTE AM 3. OKTOBER NICHT REDEN: Wider den öffentlichen Unwillen
Richard Nixon hatte sich in den Augen vieler US-Bürger während seiner Amtszeit große Verdienste erworben, vor allem um das Verhältnis zu Peking. Aber das nutzte dem Präsidenten gar nichts, als seine Verwicklung in den Watergate-Skandal offenbar geworden war. Die amerikanische Öffentlichkeit war und ist nicht der Meinung, dass kriminelle Handlungen durch Meriten der Vergangenheit relativiert werden. Glückliches Amerika.
Innerhalb der Unionsparteien ist gerade der Streit neu entbrannt, ob Helmut Kohl denn nun anlässlich des zehnten Jahrestages der deutschen Einheit eine öffentliche Rede halten soll oder lieber doch nicht. Eine absurde Diskussion. Wenn endlich alle bisher bekannten Tatsachen nüchtern betrachtet und gewürdigt werden, dann erledigt sich die Frage von selbst, ob der Altkanzler ein geeigneter Festredner ist. Das geschieht aber nicht.
Helmut Kohl hat durch die Annahme illegaler Spenden regelmäßig und bewusst gegen das Parteiengesetz verstoßen, ist also ein Wiederholungstäter. Spätestens seit den Aussagen ehemaliger Spitzenmanager der französischen Ölfirma Elf lässt sich außerdem die Unschuldsvermutung kaum noch aufrechterhalten, der zufolge Entscheidungen der alten Bundesregierung nicht käuflich gewesen sind. Endgültige Klarheit wird sich aber möglicherweise nie gewinnen lassen. Im Zuge des Machtwechsels wurden zahlreiche Dateien im Bundeskanzleramt gezielt gelöscht.
Es ist Aufgabe der Justiz, zu prüfen, in welchem Umfang Helmut Kohl wofür im Einzelnen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Über die politische Verantwortung aber haben nicht die Gerichte zu entscheiden. Was muss eigentlich noch alles herauskommen, bevor die deutsche Öffentlichkeit ihre Augen nicht mehr davor verschließt, dass ein Mann das Land regiert hat, der Gesetzesverstöße durchaus in Ordnung findet, wenn sie ihm und seiner Sache dienen?
Es gibt gute Gründe dafür, dieser Einsicht lieber aus dem Weg gehen zu wollen. Sie zieht weitere unerfreuliche Erkennnisse hinsichtlich devoter Gutgläubigkeit und einer demütigen Haltung gegenüber den Mächtigen nach sich. Kohl wäre niemals auch nur ins Zwielicht geraten, wäre er heute noch Kanzler. Eine gewagte Aussage? Ach, nein. Nicht dann, wenn man über ein gutes Gedächtnis verfügt. Siehe Flick-Affäre.
Solange sich die Deutschen um ihr Urteil über ihren ehemaligen Kanzler herumdrücken, so lange soll er bei festlichen Anlässen ruhig reden. Eine Ansprache von Helmut Kohl am 3. Oktober wäre nicht mehr als der konsequente Ausdruck des öffentlichen Unwillens, ihn als das zu sehen, was er ist. Ein politischer Krimineller. BETTINA GAUS
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