DAF-Auftritt in Berlin: Küss mich, mein Liebling
Ruhe, Kraft, Konzentration, Geborgenheit, Trost und Zuversicht. Das ist die Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) im Berliner Astra.
Hört auf die Frauen! Immer wieder sagen: Hört auf die Frauen!
Meine Begleiterin meint, wir sollten erst mal reingehen, die Lage checken, ist ja schon spät. Ich entgegne, warum, Vorraum ist doch noch voller Leute. Wenn wir drin sind, kommen wir nicht wieder raus. Erst mal Bier bestellen. In der Schlange unterhalten wir uns über unsere Mütter. Es geht nicht voran. Als wir Bier bekommen, sind alle anderen weg. DAF spielen schon.
2018 wird die Deutsch Amerikanische Freundschaft vierzig. Eben ist eine Box mit den vier kanonischen Alben aus den frühen Achtzigern erschienen. Im November wird es ein Buch geben, in dem Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl ihre Geschichte erzählen. Box und Buch haben dasselbe Cover. „Das ist DAF“ steht in weißen und roten Lettern auf schwarzem Grund. Das nennt man Corporate Identity. Und das ist Kunst. Mit wenigen Worten sagen, was zu sagen ist.
Das Astra ist voll. Wir versuchen über den linken Flügel zur Avantgarde vorzudringen. Auf halber Strecke bleiben wir stecken, zu dicht ist der Pulk. Meine Begleiterin zieht mich nach rechts. Ein Mann schiebt mich weiter: Immer rein, sagt er, und lacht. Vor uns tanzt eine Frau mit ausrasiertem Nacken und Muscleshirt. Das ist korrekt.
Der Sound ist nicht zu laut, alles klingt klar. Die Sequenzen aus dem Korg tuckern vor sich hin. Robert Görl spielt wie ein Schamane. Immer in die Zwischenräume, die es in der europäischen Rhythmik gar nicht gibt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen europäischer Hüftsteife und der Unkenntnis dieses Dazwischen, und das ist alles.
Gabi Delgado deklamiert seine Zeilen. Er singt von Sex, von Liebe, vom Küssen. Er singt auch von Kleidung und Stiefeln, über den Stolz, das Tanzen und die Bewegung, am liebsten aber über das Begehren: „Drück dich an mich. So fest, wie du kannst. Küss mich, mein Liebling. So viel wie du kannst. Liebe mich, mein Liebling. Als wär’s das letzte Mal. Küss mich, mein Schatz. Du machst mich verliebt, mein Mädchen. Das ist Liebe, und das ist Sex. Am liebsten lieb ich dich im Wasser. Weil du das Schönste bist, was es unter Wasser gibt. Oh, Liebling, mein Schatz. Sag’s mir schon jetzt. Was trägst du heut Nacht. Ich bin gespannt und aufgeregt. Trägst du deinen Körper, steht dir alles, was du trägst. Ein schöner, junger Prinz verirrte sich im Wald. Da packten ihn die Räuber. Doch einer von den Räubern liebte diesen Prinzen. Ich liebe diesen Prinzen. Ich liebe dich, mein Räuber.“
Meine Begleiterin sagt, dass Sex im Wasser schlecht für die Vaginalhygiene ist. Dass die Lyrics von Gabi aber super sind, weil Frauen zum Handeln aufgerufen werden. Gabi Delgado ist nass, weil er sich inzwischen die fünfte Flasche Wasser über den Kopf geschüttet hat.
Zwischen den Stücken macht er Ansagen. Bedankt sich und freut sich über das Zusammensein. Seine Sätze enden mit der Formel „Jungs und Mädchen“. Vor ein paar Jahren hat er im Festsaal Kreuzberg am Ende gesagt: „Es war so schön heute Abend mit euch, Jungs und Mädchen.“ Danke, es war auch sehr schön mit euch, sagten wir.
Die meisten Jungs und Mädchen im Saal sind schon länger keine Jungs und Mädchen mehr. Als sie Jungs und Mädchen waren, waren DAF noch Jungs. Auf den Covern von „Alles ist gut“ und „Gold und Liebe“ sieht man, wie schön und jung und stark sie waren. Dass sie in ihren hypermodernen Lederoutfits verführerisch aussahen wie junge Stricher, war ein Skandal. Jetzt sind sie dreimal so alt wie die Jungs und Mädchen von heute, aber das macht nichts. „Sie sind Spießer, und ihr seid DAF“, singt Gabi. Als Robert Görl aufhört, den Beat zu schlagen, bekräftigt er: „Ich meine das genau so, wie ich es eben gesagt habe: Ihr seid DAF.“ Ja, das sind wir.
Als sie „Kebabträume“ spielen, singt der ganze Saal mit. „Hürriyet für die Sowjetunion. In jeder Imbissstube ein Spion. Im ZK Agent aus Türkei. Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.“ Wir halten es nicht mehr aus in der Mitte, auf nach vorn. Da ist das Licht heller, die Gesichter strahlen lauter und die Oberkörper der Männer sind nackt. Warum darf ich das nicht, fragt meine Begleiterin. Hier wird dich niemand davon abhalten, Amazone, will ich sagen. Aber nun kommt das letzte Stück.
Keine Götterdämmerung, kein Pathos, keine Ironie. Sondern Ruhe, Kraft, Konzentration, Geborgenheit, Trost und Zuversicht. Das ist DAF. Gabi Delgado spricht ein letztes Mal zu uns, als Liebhaber, Priester und Mutter zugleich: „Sei still. Schließe deine Augen. Bitte denk an nichts. Glaube mir. Alles ist gut. Alles ist gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl