Curevac geht in neue Phase: Nachzügler mit Perspektive

Auch das Pharmaunternehmen Curevac aus Tübingen will noch in diesem Jahr eine Massenstudie seines Corona-Impfstoffs starten.

Eine grün behandschute Hand hält eine Laborprobe

Im Labor des Pharma-Mittelständlers Curevac in Tübingen Foto: Andreas Gebert/reuters

TÜBINGEN taz | Die Ersten sind sie nicht und doch vorne mit dabei beim Corona-Impfstoff. Das biopharmazeutische Unternehmen Curevac aus Tübingen will noch dieses Jahr in die letzte klinische Phase seines Impfstoffes gehen. Vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung plane das Unternehmen, in Kürze eine zulassungsrelevante Studie mit über 35.000 Teilnehmern in Europa und Südamerika zu beginnen, teilte der Mittelständler am Montag mit. Ergebnisse werden im ersten Quartal 2021 erwartet.

Kürzlich hatte Curevac mitgeteilt, dass sein Impfstoff bei +5 Grad Celsius, also Kühlschranktemperatur, mindestens drei Monate lang stabil bleibe, bei Raumtemperatur bis zu 24 Stunden. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer dagegen muss bei -70 Grad Celsius gelagert und transportiert werden. Biontech/Pfizer haben bereits die Notfallzulassung beantragt. Mit einer Zulassung des eigenen Impfstoffs rechnet Curevac im Frühjahr oder Sommer 2021.

Die Europäische Kommission sicherte sich bei der Firma am Rande der Schwäbischen Alb bereits 225 Millionen Impfdosen im Namen aller EU-Mitgliedstaaten sowie die Option, weitere 180 Millionen Dosen zu bestellen. Um ausreichend Impfstoff herzustellen, will Curevac ein Netzwerk für die Produktion aufbauen. Unter anderem ist eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Wacker Chemie geplant. 2022 soll in Tübingen auch eine weitere Produktionsanlage für ihre Impfstoffe und andere RNA-Arzneimittel an den Start gehen.

Angesicht des Vorpreschens von Moderna und Biontech wirkt Curevac wie ein Nachzügler, jedoch: „Bis alle geimpft werden können, wird es eine Weile dauern“, erwidert Curevac-Sprecher Thorsten Schüller. „Vor allem am Anfang wird nicht genug Impfstoff zur Verfügung stehen. Das ist auch an der Diskussion, wer zuerst geimpft werden soll, zu erkennen“, sagt Schüller, „da im Grunde die ganze Welt versorgt werden muss, ist der Markt sehr groß.“

Ein Heureka-Effekt

Die mRNA-Technik, auf der auch die Impfstoffe von Biontech und Moderna basieren, geht zurück auf eine Entdeckung des Curevac-Gründers Ingmar Hoerr. „Wir kommen ja aus dem Nichts. Dass wir so ein Momentum haben, war nicht abzusehen“, sagt Hoerr. „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.“ Ernst genommen habe ihn vor 20 Jahren nämlich niemand, als er beim Experimentieren für seine Doktorarbeit feststellte, „dass die Immunantwort bei RNA besser ist als bei DNA“, erzählt er. „Das war ein Heureka-Effekt. Ich wusste, das kann eine Revolution geben.“

Auch wenn er damals nicht ahnte, dass die Technik mal Hoffnungsträger in einer globalen Pandemie sein wird. Als „kleiner Doktorand“ in einem Tübinger Labor sei er belächelt worden. Seine Publikation ging unter. Lieber wäre es ihm gewesen, eine große Firma hätte seine Idee aufgegriffen. „Wir hatten ja von Tuten und Blasen keine Ahnung.“ Da das ausblieb, gründete er mit anderen eine Firma und verfolgte 20 Jahre lang seine Vision, die mRNA-Technologie nutzbar zu machen und die Pharmaindustrie zu revolutionieren.

Ohne Geld und Investoren, bis Unternehmer Dietmar Hopp 2005 einstieg und sich die Firma professionalisierte. Bis dahin hatte sie sich mit Dienstleistungen – RNA-Schnipsel an andere verkaufen – über Wasser gehalten. Heute sind sie liquide, Gewinne konnte Curevac noch keine mit der Technologie machen, so Hoerr. Da das Grundprinzip der RNA nicht patentiert werden kann, sondern die Forschungsfreiheit gilt, forschen heute auch andere Firmen an der mRNA-Technologie. Er sehe diese nicht als Konkurrenz, will keinen Nobelpreis, sondern einfach „diese blöde Krise“ meistern.

Die Sprache des Körpers verstehen

Das Neue an der Technik sei, dass dem Körper ein „Bauplan“, ein „Kochrezept“, ein „IT-Code“ übermittelt werde und der Körper die Therapie dann selbst entwickle, erklärt Hoerr. Er wolle „die Sprache des Körpers verstehen und ihm nicht etwas aufpfropfen“. Für den mRNA-Impfstoff braucht es also keine Krankheitserreger oder deren Bestandteile. Vereinfacht gesagt: Bei herkömmlichen Impfstoffen wird das Antigen selbst gespritzt, bei mRNA hingegen die genetische Information, sodass der Körper das Antigen selbst bildet. Bei einem späteren Kontakt mit dem neuartigen Coronavirus erkennt das Immunsystem im Prinzip das Antigen wieder und kann das Virus gezielt bekämpfen. „Die mRNA des Impfstoffes ist wie eine Lehrstunde für den Körper. RNA wird nach Übermittlung der Information wieder restlos abgebaut“, so Hoerr.

Die mRNA Technik müsse sich nun beweisen. Der Impfstoff gegen den Covid-19-Erreger sei nicht so komplex wie etwa Krebstherapien. Deshalb hofft Hoerr, dass nun eine Lanze gebrochen werde für die Technologie und „größere Player“ in die Technik einsteigen. Seine Vision ist, vor allem die mRNA-Technologie für Tumorerkrankungen voranzutreiben. Der Corona-Impfstoff wäre das erste Produkt, das Curevac auf den Markt bringt. Es forscht unter anderem an mRNA-basierten Impfstoffen gegen Tollwut oder Mitteln gegen Lungenkrebs.

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