Coronastrategie in China: Lockdowns sollen „präziser“ werden
China möchte an seiner „Null Covid“-Strategie festhalten, jedoch die wirtschaftlichen Folgekosten minimieren. Der Frust in der Bevölkerung wächst.
Nachdem die Volksrepublik aufgrund seiner erfolgreichen „Null Covid“-Strategie über lange Zeit eine virusfreie Bastion blieb, zwingt sich die hochansteckende Omikronvariante nun ihren Weg durch fast sämtliche Provinzen. Am Sonntag vermeldet die nationale Gesundheitskommission Corona-Infektionen aus 69 Städten, die täglichen Ansteckungen liegen derzeit bei rund 4.000. Zudem sind am Wochenende erstmals seit dem 25. Januar 2021 wieder zwei Patienten in China an der Viruserkrankung verstorben.
Im internationalen Vergleich muten die Zahlen weiterhin verschwindend gering an. Doch da die Staatsführung eisern an einer Nulltoleranzstrategie festhält, wird jeder noch so kleine Infektionsstrang mit radikalen Methoden behandelt: Massentestungen, Zwangsquarantäne und Ausgangssperren.
Wie dies aussieht, zeigt sich dieser Tage in Shanghai: Die belebte Fußgängerzone Nanjing-Lu ist wie leergefegt, die Wohnsiedlungen der meisten Bezirke mit Stahlschlössern abgeriegelt. Immer wieder müssen die Bewohner zu Massentests antreten, nicht selten kommt es dabei auch zu Handgemengen.
Der Lockdown ist kein Lockdown
Offiziell weigert sich die Stadtregierung nach wie vor, die aktuelle Situation einen Lockdown zu nennen. Doch Fakt ist: Erstmals sind neben Shanghai etliche Wirtschaftszentren der Ostküste nahezu stillgelegt – von der Hafenstadt Qingdao bis hin zur Tech-Metropole Shenzhen im Süden.
Auch in Peking haben die Behörden unlängst ganze Wohnsiedlungen dichtgemacht. In der historischen Altstadt ist auch ein traditionelles Hutong-Viertel betroffen, um das Gesundheitspersonal in weißen Schutzanzügen über Nacht mannshohe Plastikplanen hochgezogen haben. Der Ausbruch mit bisher elf nachgewiesenen Infektionen geht auf ein benachbartes Peking-Ente-Restaurant zurück, an deren Besitzer man nun ein Exempel statuieren möchte: Von den 830 Gästen, die als enge Kontakte gelistet werden, haben nämlich 477 sich nicht verpflichtend mit ihrem Smartphone registriert.
Es ist erstaunlich, mit welch stoischer Gelassenheit die Bevölkerung die rigiden Maßnahmen akzeptiert. Auch für Quan, der an diesem Märznachmittag vor einem Pekinger Einkaufszentrum Flyer für sein Fitnessstudio verteilt, gibt es keinen Grund zur Panik. Doch die strengen Maßnahmen, sagt der in Pilotenjacke und dunkler Jogginghose gekleidete Mittzwanziger, seien schlecht fürs Geschäft: „2020 war eine Katastrophe für uns, 2021 war ein gutes Jahr – doch seit zwei Monaten geht es wieder bergab“. Wie Quan denken viele seiner Landsleute: Der Respekt vor einer Virusansteckung ist nach wie vor hoch; doch hinzugekommen ist eine ungleich größere Angst: unfreiwillig in einen Lockdown zu geraten.
Nach drei Tagen lässt es nach
Dass die Maßnahmen längst nicht mehr verhältnismäßig sind, soll der Bevölkerung möglichst vorenthalten werden. Am Donnerstag richtete sich der Vize-Direktor eines Pekinger Krankenhauses an die Medien. Dabei schilderte er aus eigener Erfahrung, dass „die meisten Omikron-Infizierten keine allzu große medizinische Behandlung“ bräuchten und die Symptome nach rund „drei Tagen wieder nachlassen“ würden. Wenig später wurden seine Zitate von den Zensoren aus dem chinesischen Internet gelöscht.
Nichts deutet mehr darauf hin, dass China in diesem Jahr seinen epidemiologischen Kurs ändern wird. Doch en Detail sind bereits chirurgische Anpassungen auszumachen: Am Donnerstag sagte Staatschef Xi Jinping bei einem Treffen des Politbüros, dass die Behörden nicht nur das Virus unter Kontrolle bringen sollen, sondern dabei auch die Auswirkungen auf die „wirtschaftliche und soziale Entwicklung minimieren“ müssen.
Insbesondere in Shenzhen und Shanghai experimentieren die Behörden damit, Lockdowns immer gezielter und treffsicherer zu machen, Quarantänezeiten zu kürzen und anstatt PCR-Tests auch kostengünstigere Selbsttests zu erlauben. Längst zeigen die Maßnahmen Früchte: Während früher Betriebe über mehrere Wochen stillgelegt wurden, dürfen diese unter speziellen Auflagen nach wenigen Tagen bereits wieder aufsperren.
„Closed Loop“-Management
Dabei kommt eine Art „closed loop“-Management zum Einsatz, wie es bereits bei den Olympischen Winterspielen in Peking erprobt wurde: Die Mitarbeiter werden vom Rest der Bevölkerung abgeschirmt und leben in firmeneigenen Wohnheimen. Anders ausgedrückt: Chinas Behörden wollen keine Lockdown-Keulen mehr schwingen, sondern mit präzisen Dartpfeilen einzelne Wohnblocks abriegeln.
Doch eine nachhaltige Exit-Strategie ist dies freilich nicht. Das Problem ist jedoch, dass die Regierung bis heute keine Mrna-Imfpstoffe von Biontech oder Moderna zugelassen hat. Stattdessen ist die Bevölkerung nur durch die Totimpfstoffe der chinesischen Produzenten Sinovac und Sinopharm geschützt. Ein Blick auf die Statistiken belegt, dass diese in Bezug auf Omikron deutlich unterlegen sind: Sowohl in Singapur als auch in Chile – beides Länder mit einer sehr hohen Durchimpfungsrate – sind die Ansteckungen seit Anfang des Jahres exponentiell in die Höhe geschnellt. Und auch wenn die relative Infektionsrate in Singapur zeitweise doppelt so hoch war wie in Chile, betrug die Sterblichkeit im direkten Vergleich nur ein Drittel. Eine offensichtliche Erklärung liegt auf der Hand: Singapur hat seiner Bevölkerung mit Mrna-Impfstoffen versorgt, während in Chile zunächst nur chinesische Vakzine zur Verfügung standen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!