Coronaproteste am Wochenende: Ein Jubiläum mit Gewalt

Bei den Querdenkendemos am Wochenende kam es zu Ausschreitungen, ein Teilnehmer stirbt nach Polizeikontrolle. Innensenator verteidigt Polizeitaktik.

Ein Mann stellt sich auf der verbotenen Querdenkerdemonstration auf der Straße des 17. Juni an der Siegessäule auf ein Polizeigitter

Dieses Jahr gab es Polizeigitter, die das Regierungsviertel schützten Foto: Rolf Kremming

BERLIN taz | Trotz allem war der groß angekündigte Protestjahrestag der Querdenkerbewegung kein Erfolg. Waren am 1. August vergangenen Jahres noch etwa 30.000 Menschen auf die Straße gegangen, mobilisierte die Bewegung an diesem Sonntag nur etwa 5.000 Demonstrierende gegen die Coronamaßnahmen.

Im Vorfeld waren fast alle Versammlungen verboten worden. Die Polizei schaffte es allerdings nicht, dies auch durchzusetzen: Über den ganzen Sonntag hinweg lieferten sich Protestierende und Staatsgewalt quer durch die Stadt Katz- und Mausspiele. Immer wieder kam es dabei auch zu gewalttätigen Attacken auf Po­li­zis­t:in­nen und Jour­na­lis­t:in­nen. Pas­san­t:in­nen wurden in öffentlichen Verkehrsmitteln angepöbelt, ihre Masken abzusetzen. Videos auf Twitter zeigen auch das teils rabiate Vorgehen der Polizei.

Zunächst hatten sich die Quer­den­ke­r:in­nen am Olympischen Platz in Charlottenburg gesammelt, am Mittag dann eine Polizeikette durchbrochen und waren daraufhin unbegleitet den Kaiserdamm entlang marschiert. Später versammelten sich die vielfach aus Süddeutschland angereisten Protestierenden am Großen Stern. Um Szenen wie die Erstürmung der Reichstagstreppen im vergangenen Jahr zu vermeiden, sperrte die Polizei das Regierungsviertel hermetisch ab.

Wasserwerfer wurden aufgefahren, allerdings nicht eingesetzt. Am Nachmittag lief ein weiterer Protestzug durch Schöneberg und Kreuzberg. Abends versammelten sich einige Hundert Quer­den­ke­r:in­nen am Alexanderplatz und am Berliner Dom.

Gewerkschaftler brutal attackiert

Eine brutale Attacke gab es am Rande auf den Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten- und Journalistinnen-Union (dju) in Verdi, Jörg Reichel, der am Nachmittag von seinem Fahrrad gezerrt, geschlagen und getreten wurde. Dabei wurde auch versucht, ihm das Handy zu entreißen. Die Täter, die den unangemeldeten Aufzug zuvor koordiniert haben sollen, ließen erst von ihm ab, als Pas­san­t:in­nen eingriffen. Wegen Verletzungen an Schulter und Beinen musste Reichel im Krankenhaus behandelt werden.

Der Angriff erfolgte an der Ecke Köthener Straße/Bernburger Straße in Kreuzberg. Just hier hatte am Morgen die Verteilung der Zeitschrift Demokratischer Widerstand stattgefunden. Das Gratisblatt wird von Anselm Lenz herausgegeben, der im März vergangenen Jahres mit den Hygienedemos am Rosa-Luxemburg-Platz die Coronaproteste angestoßen hatte. Renate Gensch, Berliner Vorsitzende der dju, sagte: „Eine solche Tat ist verabscheuungswürdig. Die körperliche Unversehrtheit und die Pressefreiheit sind höchstes Gut.“

Innensenator Andreas Geisel (SPD) verteidigte gegenüber dem Inforadio das Vorgehen der Polizei bei den verbotenen Demos. Die 2.000 am Einsatz beteiligten Be­am­t:in­nen hätten „professionell und verhältnismäßig“ auf eine schwierige Lage reagiert. Auch Martin Pallgen, Sprecher der Senatsinnenverwaltung, sagte der taz, ein konsequenteres Vorgehen wäre mit dem Risiko verbunden gewesen, „Menschen durch Polizeieinsätze zu verletzen“.

Dies sei „unverhältnismäßig“, da die Polizei „im Namen des Gesundheitsschutzes“ gehandelt habe. Die Demoverbote verteidigte Pallgen: Da im Vorfeld offen Rechtsbrüche angekündigt worden waren, habe der Ermessensspielraum der Versammlungsbehörde „Richtung null“ tendiert.

Todesfall nach Polizeigewahrsam

Im Zuge der Demonstration kam es auch zu einem Todesfall. Ein 49-jähriger Mann – anscheinend ein Protestierender – habe während einer Identitätsfeststellung über ein Kribbeln im Arm und in der Brust geklagt, so die Polizei.

Ein Rettungswagen habe den Mann ins Krankenhaus gebracht, wo dieser gestorben sei. Die Querdenker-Bewegung versucht den Mann zu einem Märtyrer zu erklären und veranstaltete am Montag eine „Trauerkundgebung“. Insgesamt gab es am Wochenende nach Polizeiangaben mehr als 600 vorläufige Festnahmen.

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, kritisierte, die Polizei sei „streckenweise überfordert und polizeitaktisch sowie zahlenmäßig nicht immer gut aufgestellt“ gewesen. Allerdings gestand er die „Riesenherausforderung“ ein, die „rücksichtslos und aggressiv“ auftretenden Protestierenden in Schach zu halten. Auch der Ruf nach „größeren Repressionsmaßnahmen“ sei „sicherlich zu einfach“. Derweil teilte die Polizei am Montag mit, drei weitere für die kommende Woche angekündigten Demonstrationen verboten zu haben.

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