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Coronanotbremse des BundesSchlecht konstruiert

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die Coronanotbremse ist überfällig und hat zwei Konstruktionsfehler: die Ausblendung der Arbeitswelt und die Orientierung an einem zu hohen Inzidenzwert.

Infektionsschutzgesetz mit Lücken: Bundeskanzlerin und Vize-Kanzler Foto: Jens Jeske

D ass der Bund mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die an diesem Freitag in den Bundestag eingebracht wird, mehr Verantwortung in der Pandemiebekämpfung übernimmt, ist überfällig. Denn ein großer Teil der Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen hat in den vergangenen Monaten eindrücklich bewiesen, dass sie nicht bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Durch verfrühte Öffnungen und das Ignorieren gemeinsam getroffener Vereinbarungen hat sich die mühsam abgesenkte Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen zwei Monaten wieder fast verdreifacht.

Eine Bundesnotbremse ist darum dringend nötig. Allerdings wird das Konstrukt, das nach Verhandlungen zwischen Bund und Ländern jetzt zur Abstimmung steht, aller Voraussicht nach nicht hinlangen, die dritte Welle zu stoppen. Denn abgesehen davon, dass sich die Kontaktbeschränkungen weiterhin auf das Privatleben konzentrieren und die Arbeitswelt weitgehend ausblenden, hat die geplante Notbremse zwei entscheidende Kon­struk­tions­feh­ler. Zum einen sollen die Beschränkungen, die ab einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen und Woche gelten sollen, sofort zurückgenommen werden, wenn der Wert für einige Tage unter diese Schwelle sinkt.

Auf diese Weise dürfte die Inzidenz dauerhaft um diesen – viel zu hohen – Wert pendeln. Zum Vergleich: Großbritannien und Portugal haben ihre scharfen Lockdowns erst bei einer Inzidenz von 30 gelockert.

Zum anderen berücksichtigt die Orientierung an einer festen Inzidenz von 100 nicht, dass sich deren Aussagekraft mit zunehmenden Impfungen reduziert. Wenn 25 Prozent der Bevölkerung durch Impfungen geschützt sind, entspricht eine Gesamtinzidenz von 100 einer Inzidenz von 133 unter den Ungeimpften. Und weil in dieser Gruppe vor allem jüngere Menschen sind, die in Schule, Kita und Job besonders viele Kontakte untereinander haben, steigt für diese bei gleicher Inzidenz das Risiko. Diese Fehler müssen dringend behoben werden – am besten ohne erneute wochenlange Verzögerung.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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13 Kommentare

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  • Guter Beitrag! Gerade auch mal das Thema Inzidenz und geimpfte andersherum zu beleuchten als üblich ist ein bedenkenswerter Aspekt.



    Ich meine, ein Infektionschutzgesetz sollte sich zuerst an der Inzidenz orientieren und den Grenzwert niedrig ansetzen. Es zeichnet sich nicht ab, dass for Nachverfolgung gut genug klappt, die Positivrate ist in Deutschland deutlich höher als in den Ländern, die mehr Kontrolle haben.



    Dann sollte, und dies ist zwangsläufig nur mit zeitlicher Verzögerung möglich, die Inzidenz mit den Folgen (Krankheitsdauer, Intensität, Klinik, Tod) korreliert werden um Grenzwerte und Maßnahmen nachzuregeln. Denn: Wenn man sich auf Herrn Lindner doch mal einlässt so kann man daraus was sinnvolles ableiten: wenn Corona soweit im Griff ist, dass man nur drei Tage Schnupfen hat und nur ein Prozent größere Probleme hat, wäre lockdown usw natürlich Quatsch. Wir sind nicht in dieser Situation, aber ich denkt mittlerweile, wir kommen nur vom Fleck wenn wir diese künftige eventualität bereits jetzt berücksichtigen. Dass die Wahrnehmung der aktuellen Situation auseinander klafft wäre so außen vor. (Oder tut sie das nicht? Vielleicht geht es den großen Egos darum Unterschiede zu zeigen?)



    Mir wäre es auch wichtig, dass das Gesetz gleich auch für künftige Pandemien als Vorlage dienen kann. Dann hat meine „Lieblingsberufsgruppe“ der Juristen weniger Möglichkeiten, sinnvolle Maßnahmen aufzuheben.

  • Richtig, ich stimme dir wirklich zu.

  • Ich verstehe die Fixierung auf den Inzidenzwert nicht da er mir nicht differenziert genug scheint um das Infektionsgeschehen darzustellen.



    Um sinnvoll und angemessen Massnahmen zu beschließen, die auch von der Bevölkerung getragen werden, braucht es weitere Kriterien und Berechnungen die die Schwere des Infektionsgeschehens tatsächlich und deutlicher abbildenden.

    • @Wunderdich:

      Die Inzidenz ist das schnellste was sich bestimmen lässt und muss folglich immer Trigger sein. Gleichzeitig sind die Inzidenz aber auch, mit dem naturgegebenen Delay, mit den Folgen abgeglichen werden und so nachgeregelt werden. Einverstanden?

    • @Wunderdich:

      Reicht das hier?



      www.n-tv.de/panora...ticle22494454.html

      Die Reha-Kapazitäten in Deutschland belaufen sich bereits jetzt auf maximal 10% des Benötigten.

      • @Ajuga:

        Es gibt Anzeichen dafür, dass für Long COVID eine Impfung tatsächlich helfen kann. Hoffe das trifft zu. Ansonsten kommen sehr hohe Kosten auf uns zu.

  • Das ist zwar alles richtig nur ist es doch besser das Richtige nicht so gut zu machen als gar nicht. Und besser als das Falsche richtig zu machen schon sowieso. Der Inzidenzwert von 100 ist zu gering, allerdings ist auch so schon das Gezetere und Geschäume bei den Gegnern der Gesetzesänderung sehr stark. Das Gesetz erlaubt den Ministerpräsidenten ja auch selber noch restriktiver zu agieren. Dafür sind sie nur leider zu feige. Es sollte jetzt vielleicht vor allem darum gehen, die Länder für die Zukunft in Pandemiefragen wenigstens teilweise zu entmachten und automatische Regelungen für besonders hohe Werte zu verankern. Das ist vernünftig bei Bedrohungen deratigen Ausmaßes und Tempos u d das schützt auch ein bisschen vor der möglichen charakterlichen Schwäche des nächsten Kanzlers.

  • Die Inzidenzwerte sind bedeutungslos geworden, seit zu den Testergebnissen der Gesundheitsämter die positiven PCR-Testergebnisse in Folge von Schnelltests hinzugezählt werden.



    Bei inzwischen zig-Millionen Schnelltests pro Woche kommen da nämlich eine Menge Positivergebnisse zusammen.



    Gestern hat die Lokalzeitung gemeldet, von 40 Positivtests im Landkreis seien 20 auf PCR-Tests nach positiven Schnelltests zurück zu führen. Tendenz steigend mit zunehmender Anzahl von Schnelltests.



    Es ist gut, Schnelltests zu machen und Infektionen früher zu erkennen.



    Aber die Anzahl der Tests exponentiell zu steigern und dann schärfere Regeln mit der zunehmenden Zahl positiver Tests zu begründen ist nicht ehrlich.

    • @Peter_:

      Die Postivfälle basieren definitiv nicht auf den Ergebnissen der Schnelltests. Es gibt PCR, die aufgrund eines Schnelltests überhaupt erst veranlasst werden. Es gibt auch nicht weniger falsch negative Schnelltests, aufgrund derer kein PCR durchgeführt wird. So neulich erst ein Fall in der Klinik nebenan, klinische Symptomatik, spät da weil Schnelltest vorher negativ.



      Experten gehen daher davon aus, dass bezogen auf Deutschland die Schnelltests nicht signifikant zur Beleuchtung der Dunkelziffer beitragen.

  • mit diesem Gesetz werden nur Bestimmungen gelten gemacht, von denen bisher die meisten ohnehin dachten, dass sie durch die MPK bereits beschlossen wurden. Anscheinend war die MPK aber nur ein Meinungsaustausch. Nun ja, der Punkt ist, es werden jetzt Regelungen durchgesetzt die vor ein paar Wochen beschlossen wurden, aber kaum zusätzliche Maßnahmen, das ist nicht vor der Welle, das ist immer noch meilenweit dahinter.



    Die Orientierung am Inzidenzwert ist ebenfalls ein Unding, die Positivrate der Tests ist z.B. aussagekräftiger.



    Hier vor Ort sinkt die Inzidenz gerade trotz stetig steigender Zahlen, einfach durch Mittelbildung. Vor rund 1 Woche wurde kaum getestet, und die hohen Zahlen der Tage davor fließen nicht mehr in die Inzidenz mit ein. Ein nachvollziehbarer mathematischer Vorgang, aber logisch als Unsinn erkennbar. Mit diesem Wert werden aber alle Maßnahmen begründet...



    Das ist bestimmt nicht nur hier so.



    Wo der zusätzlich Effekt kommen soll, ich kann es nicht erkennen.

    • @nutzer:

      Bei uns hat es sich mittlerweile ausgeglichen. Ist durch die Decke geschossen. So steil, dass ich hoffe, Nachmeldungen spielen mit rein. Da weniger getestet wurde über Ostern und die Leerdenker eine ihrer „Demos“ äh Aufmärsche hatten bin ich nicht so optimistisch.

  • > Denn abgesehen davon, dass sich die Kontaktbeschränkungen weiterhin auf das



    > Privatleben konzentrieren und die Arbeitswelt weitgehend ausblenden,



    Dieser Punkt ist viel zu wichtig, um ihn in einem Halbsatz abzuarbeiten.



    Nicht nur ist es kontraproduktiv, es zersetzt auch die Bereitwilligkeit, den Regeln zu folgen.



    Plakativ gesagt, ich habe keine Lust, meine Freiheit für die Produktion Gartenzwerge zu opfern.



    Aber Wirtschaftsverbände haben schon das eine oder andere mal deutlich gemacht, dass sie sich nicht an der Bekämpfung der Pandemie beteiligen wollen. Und sobald ihr Einfluss große genug ist, müssen sie es auch nicht.



    "Homeoffice? Nicht mit uns" "Na gut. Verbieten wir halt Sport."



    Neun Monteure dürfen sich in einen Bulli quetschen. Aber nach Feierabend auf einem Parkplatz quatschen: Wie unverantwortlich! Verhaften!