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Coronamaßnahmen im EinzelhandelSchlangen, Hamster und Mausklicks

In der umsatzstärksten Zeit des Jahres verschärfen Bund und Länder die Coronamaßnahmen im Einzelhandel. Onlinekonzerne profitieren davon.

Eine Schlange vor einem Laden auf dem Kurfürstendamm: Berlin, Anfang Mai 2020 Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Normalerweise beginnt in diesen Tagen die für den Einzelhandel umsatzstärkste Zeit des Jahres. Rund 20 Prozent des Jahresumsatzes werden in dieser Zeit vor Weihnachten erwirtschaftet. Doch wegen der Pandemie sind 2020 die Zeiten nicht normal. Haben die Geschäfte vor allem in den Innenstädten unter der Schließung von Restaurants, Cafés, Kinos und Kultureinrichtungen bereits im November gelitten, kommt es für sie im Dezember noch dicker.

Angesichts der weiter hohen Corona-Infektionszahlen haben sich Kanzleramt und die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*innen der Bundesländer am Mittwochabend auf eine weitere Verschärfung der Maßnahmen beim Einzelhandel geeinigt. Bei Ladenflächen mit bis zu 800 Quadratmetern soll je 10 Quadratmeter ein Kunde zulässig sein, ab einer Verkaufsfläche von über 800 Quadratmetern ist nur noch ein Kunde auf je 20 Quadratmeter erlaubt. Vorher galt für alle Geschäfte einheitlich ein Kunde pro 10 Quadratmeter Verkaufsfläche. Abweichungen von dieser verschärften Regelung können Länder nur dann zulassen, wenn die Landkreise eine Inzidenz von weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen haben.

Die Kritik des Einzelhandels ließ am Donnerstag nicht lange auf sich warten. Es gebe „keinen sachlichen Grund, unterschiedliche Regelungen für Verkaufsflächen über und unter 800 Quadratmetern zu erlassen“, wetterte des Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth. Er moniert, die bisherigen Hy­giene­kon­zepte im Einzelhandel hätten sich ­„sowohl in kleinen wie auch in den größeren Räumlichkeiten von Geschäften, Supermärkten, Kaufhäusern und Einkaufszen­tren bewährt“. Dafür haben viele Geschäfte auch viel investiert. „Viele Innenstadthändler stehen vor der Insolvenz“, befürchtet der HDE-Chef. Ohne staatliche Unterstützung sei das für sie nicht mehr zu stemmen.

Auch aus infektiologischer Sicht machen diese Maßnahmen seiner Ansicht nach wenig Sinn. Vielmehr berge diese Neure­gelung das Risiko, dass sich vor den Läden nun lange Schlangen bildeten und die Infek­tions­gefahr steigt. Gerth warnt: Bei anstehenden Kund*innen könnte das allgemeine Gefühl aufkommen, die Waren seien knapp. Die Konsequenz wären Hamsterkäufe im Lebensmittelhandel wie schon beim ersten Lockdown im Frühjahr.

Amazon dürfte profitieren

Ohnehin fürchtet der Einzelhandel, bei den Kon­su­men­t*in­nen an Attraktivität zu verlieren. Schon lange vor der Pandemie gab es den Trend hin zum Onlinehandel. Dieser Trend dürfte sich in den letzten Wochen und Monaten massiv beschleunigt haben. Schon in den ersten drei Wochen des Teillockdowns im November sind die Umsätze im Innenstadthandel laut Handelsverband um durchschnittlich 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. Im Bekleidungshandel lag das Minus sogar bei 40 Prozent. Für Dezember geht der Verband davon aus, dass Umsätze in Höhe von 2 Milliarden Euro vom stationären Handel in den Onlinehandel verlagert werden. „Die Verbraucher werden auch in Coronazeiten zu Weihnachten Geschenke kaufen“, sagt Gerth. „Unter den Bedingungen des Teillockdowns erledigen sie ihre Einkäufe aber lieber online.“

Vor allem US-Onlineriese Amazon dürfte von dieser Entwicklung massiv profitieren. Die Gewerkschaft Verdi geht davon aus, dass Amazon allein in Deutschland den Umsatz seit Beginn der Coronapandemie um rund 40 Prozent gesteigert hat. Das Vermögen vom Unternehmenseigner Jeff Bezos liegt nach Angaben des US-Magazins Forbes bei über 180 Milliarden US-Dollar.

Verdi hat rund um den Einkaufstag Black Friday an sieben deutschen Versandzentren zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Denn Amazon weigert sich seit Jahren, Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels anzuerkennen.

Dabei gebe es Alternativen zu Amazon. Zahlreiche sta­tio­näre Geschäfte haben ihren Onlineauftritt professionalisiert und bieten ihre Waren eigenständig im Versandhandel an. Mehr Umsätze auf diesem Wege würde durchaus dazu beitragen, ihre stationären Geschäfte zu bewahren.

Auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt der Aufruf von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in der Bild. Während Kanzlerin Merkel die Bürger am Mittwoch erneut explizit dazu aufforderte, möglichst zu Hause zu bleiben, plädierte Altmaier dafür, mit den Öffnungszeiten beim Einzelhandel möglichst „großzügig und flexibel umzugehen“ und für mehr verkaufsoffene Sonntage. Den Erhalt des sta­tio­nä­ren Einzelhandels bezeichnete er als „nationale, ja auch eine patriotische Aufgabe“. Was er aber meint, ist die Zeit nach der Pandemie.

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3 Kommentare

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  • Warum steht der Online-Handel (der nichts anderes ist als der schon ewig bekannte Versandhandel mit seinen dicken Katalogen) immer unter Generalverdacht, und der stationäre Handel wird moralisch absolutiert?



    Gerade in Pandemiezeiten ist er schlicht das bessere Angebot - sicherer und unter den aktuellen Einkaufsbedingungen bequemer, in der Gesamtbetrachtung vermutlich sogar ökologischer.

    Sicher, es müsste nicht Amazon sein, aber Amazon wird von den Kunden nicht gewählt weil es Amazon ist, sondern weil die Kundenerfahrung dort am besten ist, insbesondere bei problemlosen Rückgaben.



    Wenn man Amazon angreifen will, dann muss der Service mindestens gleichwertig sein und das Preisniveau nicht deutlich darüber - und das scheint die deutsche und EU Konkurrenz halt nicht hinzubekommen.



    Und natürlich - Amazon muss der gleichen Besteuerung unterworfen sein, wie die Konkurrenz - aber Amazon macht auch nicht die Steuergesetze, dieses Versäumnis liegt bei der Politik und betrifft auch andere digitale Großkonzerne. Die EU führt lieber untereinander Steuerkrieg, als das zugunsten aller gemeinsam abzustellen.

    Mit gesellschaftlicher Wandlung geht halt auch die Wandlung im Einkaufsverhalten einher - gerade wenn man weniger individuelle Mobilität will, und weniger Menschenansammlungen, ist Warenversand schlicht eine gute und naheliegende Lösung. Was nicht funktioniert ist in einem Bereich zwar radikales Umdenken zu fordern (z.B. bei Mobilität), aber dann in anderen Bereichen die Konservierung alter Geschäftsmodelle. Das funktioniert so nicht.

    Und wenn wir selbst nicht mitziehen, und statt Wandel aktiv gestalten uns nur Beschweren und Verhindern - ja dann kommen halt große Konzerne von aussen, übernehmen diesen Marktanteil und füllen die Lücke. Wie böse. Wie unvorhersehbar. Und wir haben dann weder den Spatz in der Hand noch die Taube auf dem Dach, sondern halten nur eine rote Laterne.

  • Es entbehrt jeder Grundlage für diese Quadratmeterregelungen im Einzelhandel. Vermutlich ist das irgendwie Verhandlungsmasse gewesen.



    In der Bahn wurde dagegen eine Augenwischereiregelung eingeführt: es können nur noch Fensterplätze reserviert werden (Abstand zum Sitz davor unter einem Meter), die Gangplätze sind aber nicht gesperrt und können von jedem ohne Reservierung belegt werden -> Dort können, so wie jetzt auch 4 Personen auf weniger als 3 Quadratmetern sitzen.



    Das man sich als Bürger bei solchen widersprüchlichen Regelungen für dumm verkauft vorkommt, sollte niemanden wundern.

  • Es ist und bleibt eine Sauerei, dass die Politik eine angemessene Besteuerung des Online-Handels seit langem verweigert. Die Ausrede "Wir können das wegen der EU nicht" zieht nur begrenzt. Wann immer man genauer nachschaut ist Merkels Deutschland nämlich bei den Verhinderern einer fairen Besteuerung mit dabei. Zuletzt hat man beispielsweise Frankreich im Regen stehen lassen, als es versucht hat Amazon zu besteuern.