Coronafälle in Gemeinschaftsunterkünften: Nicht mal Seife im Flüchtlingsheim
Initiativen kritisieren Massenunterbringung von Geflüchteten: Die Leute seien zu eng beieinander. Das Personal habe keine Schutzkleidung.
„Menschen in Flüchtlingsunterkünften dem Infektionsrisiko mit Corona auszusetzen, während alle denkbaren Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung ergriffen werden, ist rassistisch“, heißt es in einer Erklärung von Pro Bleiberecht. Gerade in Zeiten von Corona müsse jeder Mensch die Möglichkeit haben, sich selbst und andere zu schützen – durch hygienische Maßnahmen und angemessenen Abstand.
Konkret entzündet sich die Kritik an der Erstaufnahmeeinrichtung in Stern Buchholz bei Schwerin. Dort war zunächst bei 20 Bewohnern das Coronavirus entdeckt worden, am Samstag auch bei zwei Mitarbeitern der Malteser Werke, die die Einrichtung betreiben, am Dienstag bei drei weiteren.
Daraufhin versicherte die rot-schwarze Landesregierung, es werde alles unternommen, „um eine Ausbreitung von Infektionen innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung zu verhindern“. Die „engmaschigen Kontrollen und Schutzvorkehrungen“ beträfen nicht nur die Asyl- und Schutzsuchenden, sondern auch die Mitarbeiter der Malteser Werke.
Unterschiedliche Darstellungen
„Die Malteser arbeiten in der Erstaufnahmeeinrichtung unter Schutzausrüstung mit Handschuhen und Atemmasken“, versicherte das Innenministerium. Eine eindeutige Ansteckungsquelle habe nicht festgestellt werden können. Die infizierten Malteser seien in häusliche Isolation geschickt worden.
An der Darstellung des Ministeriums äußerte der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern Zweifel, die sich zum Teil auch mit anderen Informationen der taz decken. Demnach gab es keine Schutzkleidung für die Mitarbeiter und niemand kontrollierte, dass die Bewohner Abstand zueinander hielten. „Auf dem Gelände geht es drunter und drüber“, kritisiert Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat.
Fotos aus der Einrichtung zeigen, wie die Menschen bei der Essensausgabe und bei der Ausgabe von Putzmitteln für die Flure eng beieinander stehen. Reinigungsmittel, Eimer und Lappen für die Zimmer gebe es nicht. Ein der taz bekannter Geflüchteter veröffentlichte auf Facebook den Bericht einer Bewohnerin aus Iran, nach dem es keine Seife gebe, geschweige denn Desinfektionsmittel. Sie wasche ihre Hände mit Spüli.
Laut Ministerium werden die Infizierten in eine Ausweicheinrichtung in Parchim verlegt. Die ersten vier von ihnen seien genesen und wieder zurückgekehrt. „Aus Sicht des Schweriner Gesundheitsamtes ist es nicht erforderlich, die gesamte Erstaufnahmestelle Stern Buchholz unter Quarantäne zu stellen“, teilte das Ministerium mit.
Die nötigen Vorkehrungen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, würden innerhalb der Einrichtung getroffen. Für immungeschwächte und besonders gefährdete Menschen wie allein reisende Frauen mit und ohne Kinder sowie Ältere gebe es ein „Schutzhaus“, wo diese auch ihr Essen erhielten.
Weil die Ansteckungsgefahr in den Massenunterkünften so hoch ist, hat auch der Flüchtlingsrat gefordert, die Bewohner übers Land zu verteilen. Mittlerweile sieht Seemann-Katz das differenzierter: Es ergebe keinen Sinn, Leute übers Land zu schicken, die inzwischen möglicherweise infiziert seien. Lediglich Risikopersonen und erwiesenermaßen Gesunde sollten umverteilt werden.
Unterdessen ist auch in Bremen bei einem Bewohner in einer Massenunterkunft das Corona-Virus gefunden worden. Für den Bremer Flüchtlingsrat zeigt das: „Ein angemessener Umgang mit Corona ist in der Massenunterkunft nicht möglich.“ In der Bremer Lindenstraße sind 500 Schutzsuchende untergebracht.
Infektion in Bremen
Der Flüchtlingsrat steht nach eigenen Angaben gemeinsam mit dem Bündnis „Together we are Bremen“ in direktem Kontakt mit mehreren Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung. Diese berichteten seit Tagen übereinstimmend, dass die Neuankommenden entgegen den Verlautbarungen der Sozialbehörde nicht generell von den übrigen Menschen in der Einrichtung getrennt werden könnten. Auch die nun positiv getestete Person habe nach ihrer Ankunft regulären Kontakt zu mehreren Bewohner*innen gehabt.
Im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern betreiben auch die Landkreise Flüchtlingsunterkünfte. In Körkwitz im Kreis Vorpommern-Rügen wehren sich die Bewohner dagegen, ins rund 20 Kilometer entfernte Barth umziehen zu müssen. Der Landkreis will in Körkwitz eine Quarantäne-Unterkunft einrichten. Aus Sicht von Seemann-Katz ist es „absurd, Leute zwangsumziehen zu lassen, die sich eingelebt haben“.
Kreis-Sprecher Olaf Manzke argumentiert damit, dass Körkwitz abgeschieden sei. „Als wir Körkwitz einrichteten, haben die Leute dagegen protestiert, dass sie dort einziehen mussten“, erinnert er sich. Die Räumung von Körkwitz ermögliche es, ein Quarantäne-Lager für Infizierte aus Gemeinschaftsunterkünften vorzuhalten. Auch bei der Wahl eines anderen Standorts hätten Bewohner umziehen müssen. Im übrigen gebe es noch keinen positiv getesteten Schutzsuchenden im Kreis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?