Coronafälle am Olympiastützpunkt: Titeljagd mit Tücken
Sportler*innen am Olympiastützpunkt Hannover fürchten um ihre Karrieren. Schutzmaßnahmen werden in den Sportarten unterschiedlich ernst genommen.
In sensiblen Momenten wie diesen geht es auch um die Frage: Wie viel Sonderrolle verdient der ambitionierte Sport mitten in der Pandemie? Was ist vernünftig, was zu riskant?
„Wer ein Jahr aussetzt, kann nicht Weltklasse erreichen. Ein Trainingsverbot käme einem Berufsverbot gleich“, findet Reinhard Rawe. Er ist Direktor des Landessportbundes Niedersachsen (LSB), der wiederum Träger des OSP und ein überzeugter Förderer des Sports ist.
Der Begriff OSP klammert in Hannover ein komplexes Fördergeflecht innerhalb einer gemeinsam genutzten Immobilie ein. Unter dem Dach des sogenannten Sportleistungszentrums übt die Elite von heute und morgen aus diversen Sportarten, Vereinen und Verbänden.
Es gibt eine einheitliche Zugangskontrolle, um der Corona-Landesverordnung gerecht zu werden. Im jeweiligen Trainingsalltag folgen Sportarten wie Boxen, Judo, Schwimmen oder Leichtathletik jedoch eigenen Hygienekonzepten und Teststrategien.
Carlotta Nwajide, Ruderin
„Unsere Spieler bewegen sich in einer eigenen Blase. Sie werden regelmäßig getestet. Andere Sportarten sind leichtsinniger“, bemängelt Karsten Seehafer, Cheftrainer des Wasserball-Erstligisten Waspo Hannover. Sein Team trainiert nahezu täglich – begleitet von Ängsten vor Infektionen. Vermisst werden einheitliche Haus- und Spielregeln. Neben den Profis im Fußball, Handball, Basketball oder Eishockey gibt es viele Ausnahmeregelungen für weitere Sportarten, die Kaderathleten und Medaillenanwärter fördern.
Eine davon ist Carlotta Nwajide aus Hannover. Sie will in diesem Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokyo im deutschen Doppelvierer der Frauen sitzen und trainiert durchgängig. „Ich hatte natürlich manchmal Ängste und Bedenken, dass ich krank werde. Aber wenn ich pausiere, kann ich mich von meinem großen Traum Olympia verabschieden“, meint das Ruder-Ass.
Nwajide ist am Wochenende in Varese (Italien) mit ihrem Team bei der Europameisterschaft angetreten. Begleitet wurde das Turnier durch eine strenge Abschottung von anderen Sportlern. Ständiges Testen und Fiebermessen war Standard. Den Mundnasenschutz durften die Sportler im Grunde nur im Boot abnehmen. Sie ließen sich ihren Ehrgeiz oder Spaß am Sport trotzdem nicht nehmen.
Das Beispiel des OSP in Hannover und das von Carlotta Nwajide zeigen: Wer es im Sport bis nach ganz oben schaffen will, muss sich mit Blick auf Corona Risiken aussetzen und auf gute Konzepte seiner Sportart verlassen. Nach Angaben des LSB sind die jüngsten Infektionen in Hannover mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Reisen von Sportlern zu nationalen und internationalen Wettkämpfen zurückzuführen. Umso wichtiger wäre es, nach deren Rückkehr in ihr Heimattraining einheitlichen Vorsichtsmaßnahmen zu folgen. Doch genau daran scheitert es.
Das Sportleistungszentrum in Hannover gehört der Stadt. Zu ihren Mietern und Gästen zählen der LSB, einzelne Sportverbände und privilegierte Mannschaften wie Waspo Hannover. Der deutsche Meister ist aktuell in der Bundesliga und Champions League am Ball. Sein Präsident Bernd Seidensticker war Anfang März an Corona erkrankt – was eine Absage des Supercups gegen Spandau Berlin zur Folge hatte.
Carlotta Nwajide ist für ihren Trainingsfleiß und ihre Beharrlichkeit mitten in einer Pandemie belohnt worden. Sie hat sich mit ihrem Team die Bronzemedaille gesichert und will diese in Tokyo veredeln. „Es steht gerade meine komplette Olympia-Laufbahn auf dem Spiel“, sagt die 25-Jährige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!