Corona verschärft Kubas Krise: Am Rande des Kollapses
Dem Inselstaat Kuba ging es bereits vor der Pandemie schlecht. Jetzt gibt es nicht mal Hilfskredite – und die USA blockieren Geldtransfers.
Mariposa und Martica hießen die beiden Kühe von Fernando Funes Monzote. Beide hatten wenige Tage vorher gekalbt. Doch das interessierte die Diebe nicht, sie stahlen die Wiederkäuer am 17. Mai von dem kleinen Biohof nahe der Kleinstadt Caimito, schlachteten und verkauften sie, so Monzote in einem Post auf Facebook. Caimito liegt nahe Havanna und dort stehen die Menschen stundenlang Schlange für Produkte des täglichen Bedarfs.
„Alles ist knapp. Vom Hühnerfleisch über Speiseöl und Tomatenpüree bis zur Seife“, sagt Ricardo Torres, Sozialwissenschaftler der Universität Havanna. „Seit 2019 sinkt das Niveau der Lebensmittelimporte – es ist schlicht immer weniger Geld vorhanden“, sagt Torres am Telefon zur taz. Mit den massiven Verschärfungen des US-Embargos, den seit Jahren sinkenden Exporten und der Stagnation bei den Wirtschaftsreformen nennt Torres drei zentrale Faktoren für die Rezession, die sich bereits vor der Pandemie abzeichnete.
Schon im November 2019 konnte die Regierung in Havanna fällige Verbindlichkeiten beim Pariser Club, dem informellen Zusammenschluss staatlicher Gläubiger, nicht bedienen und bat um einen Zahlungsaufschub um einige Monate. Längst Makulatur. „Nun geht es um einen Zahlungsaufschub bis 2022“, sagt Torres.
Insel voll erwischt
Für den Aufschub haben die kubanischen Unterhändler gute Argumente, denn die ökonomischen Folgen der Coronakrise haben die Insel voll erwischt. Während die Pandemie mit 2.446 Infektionen und weniger als einer Handvoll Ansteckungen pro Tag unter Kontrolle scheint, zeichnet sich die schwerste ökonomische Krise seit rund 30 Jahren ab. 235.000 private Selbstständige haben ihre Lizenz für die „Arbeit auf eigene Rechnung“, wie die selbstständige Arbeit genannt wird, ausgesetzt – rund 40 Prozent der Ende 2019 offiziell registrierten Kleinunternehmer*innen.
Ricardo Torres, Forscher
Noch alarmierender für Torres ist jedoch die Vollbremsung beim Tourismus, der seit Jahren sinkende Export und der drohenden Einbruch bei den Geldtransfers von Familienangehörigen auf die Insel. Die belaufen sich Schätzung zufolge auf 3 bis 6 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Düstere Szenarien für die Inselökonomie, die obendrein keine Überbrückungskredite wie Chile oder Peru bei der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen kann. „Wir sind weder Mitglied noch gilt Kuba als vertrauenswürdiger Schuldner. Uns bleibt nur die Hoffnung auf bilaterale Kredite aus China oder Russland“, schildert Torres die prekäre Lage. Zu der tragen die USA mit ihren ökonomischen „Strangulierungsstrategie“ bei, wie Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel die Verschärfung des US-Embargos nennt.
Im Sanktionsvisier der USA
Die USA haben Handelspartner genauso wie Investoren auf der Insel ins Sanktionsvisier genommen. Bereits im Februar musste die chronisch klamme Regierung in Havanna einen Tanker kaufen, um an das an Bord befindliche Benzin zu kommen. Seit Anfang Juni führen die Sanktionen aus Washington dazu, dass Geldtransfers über Western Union nach Kuba kaum mehr möglich sind. Fincimex, Partner von Western Union, landete auf einer schwarzen Liste des Weißen Hauses.
Die neuen Sanktionen treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Sie ist beim ökonomischen Re-Start auf Devisen angewiesen. Bestes Beispiel ist die vor wenigen Tagen eröffneten Supermarktkette, wo Lebensmittel nur gegen Devisen verkauft werden. Die soziale Schere gehe immer weiter auseinander, monieren Kritiker auch auf der regierungsnahen Homepage Cubadebate.
Ein Problem, das auch Wirtschaftsminister Alejandro Gil sieht, der eine „tiefgreifende Transformation“ der Wirtschaft ankündigte. Konkrete Reformen fehlen noch, aber klar ist, dass die lokale Lebensmittelproduktion angekurbelt werden soll. Überfällig angesichts der Tatsache, dass rund 85 Prozent der in Kuba konsumierten Kalorien importiert werden. Deshalb raten kubanische Ökonomen wie Torres oder sein Kollege Pavel Vidal zu mehr Pragmatismus, der Abkehr vom staatlichen Agrar-Ankaufssystem Acopio und seinen fixen Preisen. Das wirke wie eine Bremse, kritisieren Bauern von der Insel.
Ihnen solle man mehr Freiraum zubilligen, sie benötigte Produktionsmittel direkt importieren zu lassen, regt Ricardo Torres an. „Bewässerungssysteme, Saatgut oder auch einen Traktor könnte über staatliche Importgesellschaften wie Cimex beschafft werden.“ Ein Vorschlag, der auch für Privatunternehmen und Genossenschaften praktikabel wäre, um dringend benötigte Produktionsmittel nach Kuba zu schaffen. Das könnte helfen, die Krise nicht existenziell werden zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland