Corona und die Kultur in New York: Existenzvernichtender Stillstand
Keine Spenden, keine Eintrittsgelder, keine staatliche Förderung: Wie die Kultur in New York und anderen Städten der USA bedroht ist.
Die Nachricht kommt am 19. März: Die New Yorker Metropolitan Opera, eines der besten Opernhäuser der Welt, setzt ihr Orchester, ihren Chor und zahlreiche weitere Mitarbeiter auf die Straße. Ein paar Tage werden sie noch weiterbezahlt, dann müssen sie Arbeitslosengeld beantragen. Es ist nur eine von vielen Hiobsbotschaften in der Coronakrise, die New York, die Welthauptstadt der Kultur, erschüttern.
Auf so eine Krise sind die Kulturinstitutionen der Stadt nicht vorbereitet. Seit Wochen sind alle Häuser zu, alle Bühnen verwaist. Die wichtigsten Einnahmequellen sind weggebrochen: Eintrittsgelder und private Spenden. Erstere fallen aufgrund der Schließungen komplett weg. Und die Spendenakquise ist fast unmöglich geworden. Im Frühjahr treiben viele New Yorker Institutionen traditionell mit Charity-Galas und Sonderprogrammen für Geldgeber hohe Summen ein. Alles ausgefallen.
Allein das Metropolitan Museum rechnet mit einem coronabedingten Verlust von 150 Millionen Dollar. Erste Mitarbeiter wurden unbezahlt beurlaubt oder gekündigt. Nicht anders sieht es im Guggenheim Museum, dem MoMa, dem Whitney Museum aus.
Eine Umfrage von „Americans for the Arts“, einer Interessenvertretung US-amerikanischer Künstler, zeigt: 62 Prozent der etwa 11.000 teilnehmenden Künstler sind wegen der Coronakrise arbeitslos geworden. 80 Prozent haben keinen Plan, wie sie sich von der Krise wieder erholen sollen.
Nebenjob, gekündigt
Freischaffende Künstler „trifft die Krise gleich an mehreren Fronten“, sagt Stacy Tenenbaum Stark, Geschäftsführerin der „Foundation for Contemporary Arts“. Der Frühling sei sonst vollgepackt mit Vernissagen, Kunstmessen und Premieren. Vorbei. Die meisten können zwar von ihrer künstlerischen Arbeit allein ohnehin nicht leben. Um sich aber über Wasser zu halten, arbeiten sie meist in leicht kündbaren Jobs als Kellner oder Uber-Fahrer. Jobs, die es jetzt oft nicht mehr gibt. Viele Künstler hätten das Gefühl, „dass ihre künstlerische Karriere unterbrochen oder gleich ganz beendet wurde“, sagt Tenenbaum Stark.
Sie will helfen. Tenenbaums Stiftung hat sich seit Ausbruch der Krise in den USA mit sechs weiteren Kunstförderungsinitiativen zusammengeschlossen und „Artists Relief“ gegründet. Gemeinsam haben sie 11,6 Millionen Dollar eingetrieben. Davon verteilen sie bis September wöchentlich 5.000 Dollar an je 100 Künstler in Not. Für die ersten beiden Runden haben sich 55.000 Künstler beworben.
„Americans for the Arts“ schätzt, dass allein die US-Kulturinstitutionen mindestens vier Milliarden Dollar bräuchten, um die Krise so gerade überleben zu können. Eine Summe, die aus staatlichen Töpfen kommen müsste. Am Ende aber hat der US-Kongress gerade mal 75 Millionen Dollar für den „National Endowment for the Arts“, die US-amerikanische Bundesbehörde für Kunst und Kultur, bereitgestellt, um mit dem Geld Institutionen und Künstlern, die unter der Coronakrise leiden, zu helfen. Im Magazin Vulture empört sich die Theaterkritikerin Helen Shaw, mit dem Geld ließe sich vielleicht eine Staffel der Serie „Westworld“ drehen. Aber nicht ein ganzer Sektor wiederbeleben.
Arbeitslosengeld, theoretisch
Immerhin können jetzt auch freischaffende Künstler Arbeitslosengeld beantragen. Theoretisch. In vielen Bundesstaaten und auch in New York sind die Behörden völlig überfordert mit der Flut von Anträgen. Innerhalb weniger Wochen haben sich landesweit 33,4 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Es kann Wochen dauern, bis Geld auf dem Konto ist.
Am Broadway, wo seit dem 12. März alle Lichter aus sind, träumen manche von einer baldigen Öffnung. Die „Broadway League“, die Produzenten und Theaterinhaber vertritt, hat dafür schon Anfang April ein Datum genannt: den 7. Juni. Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York State, hat da bereits abgewinkt. „Das, was der Broadway denkt, würde ich auf keinen Fall richtungsweisend nennen“, sagte er. Am 4. Mai hat er seinen Plan zur Wiedereröffnung von New York vorgestellt. Theater und Kinos tauchen darin erst in der vierten und letzten Phase auf. Das kann noch sehr lange dauern.
Die Regisseurin Rachel Chavkin hat am Telefon nur ein Wort für die Grundstimmung, die in der New Yorker Theaterszene herrscht: „Angst“. Sie hat 2019 den Regie-Tony für das Musical „Hadestown“ bekommen und arbeitet jetzt mit anderen Künstlern und Wissenschaftlern daran, eine Öffnung unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes zu ermöglichen. Eine Lösung gibt es noch nicht.
Im Moment „geht es den meisten nicht um das Wann, sondern um das Wie“, sagt Chavkin. Die Gesundheit der Künstler, Bühnenarbeiter und Zuschauer gehe vor. Und sie glaubt, dass für eine „lange, lange Zeit“ das Virus den Takt vorgeben wird. Ist der Broadway dem Untergang geweiht? Chavkin sieht das nicht. Der Broadway sei zäh, das habe sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gelernt.
Zumindest hat die Krise enorme Kreativität freigesetzt, wenn es darum geht, Kunst ins Internet zu bringen. Die New Yorker Museen und Theater überbieten sich mit Streamingangeboten, es gibt Life-Atelierführungen auf Instagram und öffentliche Zoom-Meetings, in denen Künstler neue Ideen in Powerpoint-Präsentationen vorstellen. Trotzdem wissen alle, dass das kein wirklicher Ersatz ist.
Record-Release-Party im Internet
Der Komponist und Schlagzeuger der gefeierten experimentellen Perkussions-Combo Tigue, Matt Evans, hat gerade die Record-Release-Party für sein neues Soloalbum „New Topographics“ ins Internet verlegen müssen. Eine Dauerlösung ist das nicht. „Egal was wir im Internet machen, es fehlt immer der besondere Moment, der entsteht, wenn Menschen in einem Raum zusammenkommen.“
Der Songwriter und Produzent Eliot Krimsky wagt einen vorsichtig optimistischen Blick in die Zukunft. Er und viele seiner Künstlerfreunde würden gerade innehalten und „ihre künstlerische Arbeit nochmals ganz neu überdenken“. Sein jüngstes Soloalbum „Lyfe“ konnte er noch in Nicht-Corona-Zeiten veröffentlichen. Vielleicht wird er eines Tages von seinem nächsten Album sagen, dass es ohne Corona in der Form nicht zustande gekommen wäre. Ein schwacher Trost. Aber immerhin ist es einer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen