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Corona in ÖsterreichRüge für Kurz

Der Kanzler trägt Mitverantwortung für die Verbreitung von Corona durch Skitouristen aus Ischgl. So lautet das Fazit einer Expertenkommission.

Kanzler Kurz habe „ohne Bedachtnahme auf die notwendige substantielle Vorbereitung“ gehandelt Foto: Sven Hoppe/dpa

Wien taz | „Folgenschwere Fehleinschätzungen“ haben im März die Verbreitung des Coronavirus aus dem Tiroler Skiort Ischgl begünstigt. So lautet das Fazit des Berichts einer sechsköpfigen Expertenkommission, die Montag in Innsbruck ihre Ergebnisse vorstellte.

Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kommt nicht ungeschoren davon. Er habe durch eine Pressekonferenz, bei der er eine Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton am Arlberg verkündete, zur chaotischen Abreise von Urlaubern beigetragen.

Die Tiroler Hotel- und Seilbahnbetreiber, denen Medien vorgeworfen hatten, aus Geldgier die Schließung der Skigebiete verzögert zu haben, werden reingewaschen. Er habe in den Befragungen und dem Mailverkehr nach Indizien gesucht, die diesen Vorwurf erhärten würden, aber kein inkorrektes Verhalten festgestellt, so der Kommissionschef Ronald Rohrer. Die Kommission habe keinen Anhaltspunkt gefunden, dass „Verantwortliche dem Druck der Wirtschaft ausgesetzt gewesen seien, bestimmte Maßnahmen nicht oder später zu treffen“.

53 Personen wurden in den vergangenen Monaten angehört und die Kommission musste sich durch 5.798 Seiten Unterlagen wühlen. Dabei sei ein „unendlich komplexer Sachverhalt“ zutage getreten, so Rohrer, der keine Schuldigen nennen wollte. Sinn des Berichts sei es vielmehr, aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

Mit Trillerpfeifen unterwegs

11.000 Corona-Infizierte in ganz Europa lassen sich auf das Alpennest Ischgl mit seinen 1.600 Einwohnern zurückführen. Die ersten, die Alarm schlugen, waren 14 isländische Urlauber, die kurz nach ihrer Rückkehr nach Rejkjavik Symptome zeigten. Als Superspreader wurde ein Barmann in der Après-Ski-Kneipe Kitzloch ausgemacht, der sich bei norwegischen Erasmus-Stipendiatinnen angesteckt haben dürfte. Die Behörden hätten zunächst die Schließung des Kitzloch verfügt.

Nach Desinfizierung der Räumlichkeiten und Austausch des Personals gab der Amtsarzt am folgenden Tag grünes Licht für eine Wiedereröffnung. Erst als dann 16 Männer und Frauen des neuen Bedienungsteams positiv getestet wurden, schrillten Alarmglocken. Die Kommission konstatierte, dass „die Wiedereröffnung aus epidemiologischer Sicht falsch war“. Um die Zustände in der Bar anschaulich zu machen, schilderte Rohrer „das Bedienungspersonal benötigte Trillerpfeifen, um sich den Weg durch die Besucher zu bahnen“.

Fehler habe es auch in der Landesregierung in Innsbruck gegeben. Namentlich der ÖVP-Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg, der in einem Fernsehinterview beteuert hatte, die Landesregierung habe alles richtig gemacht, kommt nicht gut weg. Er habe einen Teil seiner Kompetenzen an einen hohen Beamten, den Landesamtsdirektor, übertragen, ohne dass die Statuten ihn dazu ermächtigt hätten.

Als Kanzler Kurz das Paznauntal und St. Anton unter Quarantäne stellte, habe er „ohne Bedachtnahme auf die notwendige substantielle Vorbereitung“ gehandelt. Kontrolliertes Abreisemanagement sei unterlassen worden. Wären die Tourismusverbände informiert worden, dass die Gäste über das Wochenende gestaffelt und kontrolliert ausreisen sollen, hätte man sich chaotische Zustände erspart. Die Kommission warf dem Kanzler „missverständliche Ankündigung“ vor.

Ende September hat der Verbraucherschutzverein (VSV) Amtshaftungsklagen von Touristen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gegen die Republik Österreich und das Land Tirol eingebracht. Die meisten sollen sich in Ischgl infiziert haben.

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