Corona in Israel: Grünes Licht für Demoverbot
Die Knesset macht den Weg frei für ein Verbot von Massenprotesten gegen die Regierung. Netanjahu kündigt indes eine Verlängerung des Lockdowns an.
Die Regierungspartei Likud hatte zuvor gefordert, dass das Verbot von Massenprotesten auch nach Aufhebung des derzeit herrschenden landesweiten Lockdowns in Kraft bleibt. Sie ließ die Forderung jedoch fallen, wohl wegen Widerstands vonseiten des Koalitionspartners Blau-Weiß.
Stattdessen kündigte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Dienstag an, der Lockdown werde wahrscheinlich nicht wie geplant innerhalb von weniger als einem Monat aufgehoben. Möglicherweise werde es „noch viel länger dauern“. Voraussichtlich werden auch für diese Zeit die Proteste eingeschränkt sein. Ursprünglich sollte der strikte Lockdown am 11. Oktober enden.
Genaue Bedingungen für eine Aufhebung des Lockdowns nannte Netanjahu nicht. Die Entscheidung basiere „nicht auf einem Zeitrahmen, sondern vielmehr auf der Anzahl der Infizierten und anderen Faktoren“. Der Regierungschef hatte zuvor in einem auf Facebook veröffentlichten Video die Proteste als „das ganze Problem“ bezeichnet. Infektionszahlen, um seine Behauptung zu untermauern, legte er nicht vor.
Autokonvoi vor der Knesset
Am Dienstag waren Anti-Netanjahu-Demonstranten aus Protest gegen das geplante Gesetz in einem Autokonvoi vor die Knesset gefahren. Sie riefen „Demokratie oder Meuterei“ und warfen dem Regierungschef vor, er verfolge mit dem Lockdown vor allem das Ziel, die Proteste gegen ihn zu beschränken.
Seit dreieinhalb Monaten demonstrieren teils Zehntausende mehrmals wöchentlich vor Netanjahus Amtssitz in Jerusalem. Sie fordern Netanjahus Rücktritt wegen seines Korruptionsprozesses und seines Versagens in der Coronakrise.
Außerdem protestierten Demonstrant*innen am Dienstagabend und in der Nacht landesweit an Kreuzungen, Brücken und auf öffentlichen Plätzen gegen die Gesetzesänderung. Ihre Wut richtete sich nicht nur gegen Netanjahu, sondern auch gegen dessen vormaligen Kontrahenten, nunmehr Koalitionspartner, Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß, von dem sich viele verraten fühlen.
Tausende bei Gottesdienst
Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete derweil, dass einige Synagogen in Jerusalem an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, von Sonntagabend bis Montagabend in großem Maßstab die Regelungen missachtet hätten.
Im Innenraum der Belz-Synagoge, einer der größten des Landes, sollen sich mehrere tausend Gläubige zum Gottesdienst versammelt haben. Niemand soll eine Maske getragen haben. Synagogen hatten trotz harscher Kritik von Expert*innen die Erlaubnis erhalten, unter Auflagen für Jom Kippur die Tore zu öffnen.
Israel hat am Dienstag die Schwelle von insgesamt 800 schweren Covid-19-Fällen überschritten. Diese Zahl wurde im August als rote Linie angesetzt, jenseits derer das Gesundheitssystem nicht mehr in der Lage sein würde, Patient*innen angemessen zu behandeln.
Das Land hat mittlerweile eine höhere Infektions- und Sterblichkeitsrate als die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Südkorea. Der bisherige Höchstwert an täglichen Neuinfektionen wurde am vergangenen Freitag mit 8.153 neuen Coronafällen gemeldet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers