Corona im Altenheim: Schlamperei bei Pflegeheimkette
In einem Bremer Pflegeheim der Alloheim-Kette sollen Hygienestandards missachtet und Corona-Infektionen verspätet gemeldet worden sein.
BREMEN taz | Der Notarzt war schuld. Mit dieser Ausrede versucht ein Bremer Pflegeheim, in dem sich mehrere Bewohner*innen offenbar aufgrund von mangelhaften Hygienestandards und fehlenden Abstandsregelungen mit dem Coronavirus infiziert haben, die Verantwortung von sich zu schieben.
Am Montag musste der Betreiber Alloheim auf Anordnung der Behörde ein externes Qualitätsmanagement in dem Heim einsetzen, um weitere Schäden zu verhindern. Die Bremer Staatsanwaltschaft prüft nach Angaben eines Sprechers derzeit, ob sie Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung und mittlerweile auch fahrlässiger Tötung aufnimmt.
Am Freitag hatte die Bremer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) als Aufsicht führende Behörde schwere Vorwürfe gegen die Betreiber eines Wohnheims für Demenzkranke im Stadtteil Osterholz erhoben. Es habe zu wenig Desinfektionsmöglichkeiten gegeben, Händehygiene sei vernachlässigt und Schutzmaterial „nicht sachgerecht“ eingesetzt worden.
Bis Mittwochabend sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde im Haus Holter Fleet der Alloheim Senioren-Residenzen SE 19 von knapp 80 Bewohner*innen und ein Mitarbeiter positiv getestet worden, am Dienstag verstarb ein Mann. 34 waren negativ.
Der Notarzt soll schuld sein
Dabei wurden nach Darstellung der Behörden nicht nur Regelungen zum Infektionsschutz wissentlich missachtet. Auch sei der erste Verdachtsfall zu spät gemeldet worden, sagt die Sozialsenatorin Stahmann. Und offenbar auch nur, weil die erste Kranke ins Krankenhaus kam.
Laut Stahmann gab es den ersten Verdachtsfall in der Einrichtung spätestens am 1. Mai, einem Freitag. Alloheim habe dies aber erst am Montag gemeldet, als das positive Testergebnis einer Bewohnerin bereits da war.
An dieser Stelle bringt die Alloheim-Kette den Notarzt ins Spiel. Auf die Frage der taz, warum der Verdacht nicht gleich am 1. Mai gemeldet wurde, antwortet eine Sprecherin der Kette mit Geschäftssitz in Düsseldorf, dass die Bewohnerin an diesem Tag lediglich gestürzt und „notärztlich versorgt“ worden sei. „Der behandelnde Arzt veranlasste keinen Abstrich“, heißt es weiter in der schriftlichen Antwort. Und: „Einen Covid-19-Verdachtsfall zu diagnostizieren, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Pflegekräfte, sondern ist ausschließlich den behandelnden Ärzten vorbehalten.“
Schließlich sei der Test im Krankenhaus gemacht worden, „in das die Bewohnerin nach einem weiteren Vorfall verlegt wurde“. Wann dieses geschehen sei, sagt die Sprecherin auch auf mehrfache Nachfrage nicht. Zum Grund der Verlegung macht sie widersprüchliche Angaben.
Widersprüchliche Auskünfte
Am Montag schreibt sie der taz in einer Mail: „Wir haben bereits am 6. Mai in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass aufgrund typischer Infektionssymptome eine 79-jährige Bewohnerin nach ärztlicher Rücksprache in ein Krankenhaus verlegt wurde.“ Keine zwei Stunden später schreibt sie, die Frau sei wegen des „weiteren Vorfalls“ verlegt worden, „nicht wegen einer Symptomatik“.
Genauere Auskunft kann die Bremer Gesundheitsbehörde geben. Das Gesundheitsamt habe – wie auch die Heimaufsicht der Sozialsenatorin – die Dokumentation des Heims gesichtet, sagt dessen Sprecher Lukas Fuhrmann. Danach hatte die Frau am Abend des 1. Mai hohes Fieber, 39,4 Grad Celsius. Als nächste Messwerte seien 38,4 und 38,5 Grad Celsius dokumentiert.
„Fieber ist ein bekanntes Symptom für eine Corona-Infektion“, sagt Fuhrmann. Anfang April habe das Gesundheitsamt darauf extra bei einer Schulung hingewiesen. „Das hätte das Heim melden müssen, spätestens am nächsten Tag.“ Stattdessen sei ein Test erst in der Klinik gemacht worden, in die sie am Sonntag verlegt wurde, am Montag war das Testergebnis da.
Dabei haben die Betreiber und Mitarbeiter*innen des Heims offenbar schon zuvor Hinweise auf ein Infektionsgeschehen gehabt. Aus den Akten gehe hervor, dass bereits im April Personen Symptome gezeigt hätten, sagt Behördensprecher Fuhrmann. Welche, konnte er nicht sagen.
Bei einem weiteren Heim der Alloheim-Kette, der „Senioren-Residenz“ in Bramsche, ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen fahrlässiger Tötung in mindestens 25 Fällen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der taz sagte (taz berichtete). Zudem bestätigte er, dass es dort am Mittwoch vergangener Woche eine Durchsuchung des Heims gegeben habe. Nicht bei jedem Ausbruch von Corona in einem Pflegeheim ermittelt die Staatsanwaltschaft. Nur dann, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt, dass die Ausbreitung hätte verhindert werden können.
Eine Schutzmaßnahme ist zum Beispiel, dass Mitarbeitende nicht in allen Bereichen eingesetzt werden und Bewohner*innen sich nicht in allen Teilen aufhalten dürfen. Beides sei im Bremer Alloheim nicht geschehen, sagt die Sozialsenatorin.
Pflege als Kapitalanlage
Alloheim verweist darauf, dass in dem Bremer Heim Demenzkranke betreut werden, was den Schutzauftrag erschwere: Die Bewohner*innen könnten „unsere Anweisungen, Hinweise oder wie auch immer gearteten Aufforderungen krankheitsbedingt weder verstehen noch größtenteils kognitiv erfassen“.
Alloheim ist nach eigenen Angaben mit 223 stationären Pflegeeinrichtungen, 77 Standorten mit betreutem Wohnen und 25 ambulanten Pflegediensten einer der drei größten privaten Anbieter von Altenpflege in Deutschland. Vor zwei Jahren wurde das Unternehmen an den schwedischen Private-Equity-Fonds Nordic Capital verkauft – der seinen Hauptsitz im Steuerparadies Jersey hat. In derartigen Heimen ist der Personalmangel häufig noch größer als üblich in der Altenpflege, weil es nur um Gewinnmaximierung geht.
Alloheim steht immer wieder in der Kritik, weil sich Angehörige oder Personal über extrem schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen beschweren. So hatte die Bremer Sozialsenatorin vor zwei Jahren einen Belegungsstopp für eine weitere Alloheim-Seniorenresidenz in Bremen verhängt. Das Heim an der Marcusallee war danach verkauft worden.
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