Corona-Schutzimpfung in Österreich: Jetzt doch keine Impfpflicht
Wien setzt die Pflicht zur Impfung aus – noch bevor deren Durchsetzung überhaupt versucht wird. Zuletzt ließen sich weniger Menschen immunisieren.
Sie folgten damit den Empfehlungen der Impfpflichtkommission, deren erster Bericht gleichzeitig veröffentlicht wurde. Edtstadler begründete den Schritt damit, dass „viele Argumente dafür sprechen, dass dieser Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt ist“. Gemeint ist die stabile Lage auf den Intensivstationen sowie der meist milde Verlauf der meisten Omikron-Infektionen.
Johannes Rauch, nach dem Rücktritt von Wolfgang Mückstein vergangene Woche von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) als Gesundheitsminister nominiert, war noch keine 24 Stunden im Amt, da musste er schon eine Grundsatzentscheidung vertreten. Allerdings nicht gegen seine Überzeugung: Rauch, damals noch Landesrat in Vorarlberg, war über die Impfpflicht nicht glücklich gewesen – genauso wenig wie sein Vorgänger Mückstein, der bei einem Treffen mit den Landeshauptleuten im Oktober von der ÖVP überrumpelt wurde.
In Österreich gilt die Impfpflicht seit dem 1. Februar. Ab dem 16. März sollte die Polizei bei Routinekontrollen auch den Impfstatus überprüfen. Beeindruckt haben die vergleichsweise hohen Strafen aber niemanden. Im Gegenteil: Seit Inkrafttreten des Gesetzes lassen sich noch weniger Menschen impfen. Daran hat auch die Verfügbarkeit des sogenannten Totimpfstoffs Novavax nichts geändert.
Aufhebung der Schutzmaßnahmen
Die Kommission hält den Zwang für Ungeimpfte und Ungenesene allerdings weiter für sinnvoll. Das betrifft rund eine Million Erwachsene, die seit fünf Wochen in Konflikt mit dem Gesetz stehen. Viele von ihnen gehen weiter jedes Wochenende auf die Straße, um gegen „Impfdiktatur“ und „Coronawahnsinn“ zu demonstrieren. Jüngste Gemeindewahlen in Tirol, bei denen die neue Impfgegnerpartei MFG mit teils zweistelligen Ergebnissen in zahlreiche Gemeinderäte einzog, dienten als Warnsignal vor allem an die konservative ÖVP, die viele ihrer Bastionen im Rutschen sieht.
Auch die Aufhebung fast aller Schutzmaßnahmen am vergangenen Samstag ist wohl der Einsicht geschuldet, dass die Menschen nach zwei Jahren Pandemie zermürbt und lebenshungrig sind. Die Nachtclubs, die pünktlich um 00.00 Uhr am Samstag öffneten, wurden förmlich überrannt.
Die Spaßbremse spielt weiterhin Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der nicht bei allen Öffnungsschritten mitzog. In Wiens Lokalen gelten weiterhin die 2G-Regel und Maskenpflicht in allen Geschäften. Wenige Tage später sah er sich durch die explodierenden Infektionszahlen bestätigt. „Das Aufheben der Schutzmaßnahmen war ein Fehler (…) Wir werden den konsequenten Weg in Wien weiter beschreiten“, so Ludwig auf Twitter.
Minister Rauch hat jetzt bis zum Sommer Zeit, vor der drohenden Herbstwelle eine neue Impfstrategie zu entwerfen. Das Gesetz ist ja nur ausgesetzt, nicht aufgehoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr