Corona-Pandemie in Frankreich: Ex-Ministerin will gewarnt haben
Die französische Ex-Gesundheitsministerin kritisiert: Ihre Warnungen wurden nicht ernst genommen. Die Regierung gerät in Erklärungsnot.
Buzyn musste als Ersatz für den ursprünglichen, dann aber wegen eines Sexskandals ausgeschiedenen LREM-Spitzenmann Benjamin Griveaux einspringen. Am vergangenen Sonntag landete sie in Paris abgeschlagen auf dem dritten Platz. Die Stichwahlen sind auf frühestens Ende Juni vertagt worden.
Im Nachhinein gesteht sie, dass sie als Verantwortliche für Gesundheitspolitik und vor ihrer Kandidatur sehr früh die dramatische Situation kommen sah: „Als ich das Ministerium verließ, weinte ich, weil ich wusste, dass uns ein Tsunami erreichen würde. Ich ging in dem Bewusstsein, dass die Wahlen nicht stattfinden würden.“
Doch der Wahlgang wurde durchgeführt. Buzyn hatte sich keine Illusionen gemacht: „Von Beginn an dachte ich nur noch an das Coronavirus. Wir hätten das alles stoppen müssen, so war es eine Maskerade. Es war ein Albtraum. Ich ging mit Angst zu jeder der Wahlveranstaltung.“
Nicht unter Druck gesetzt
Sie betont aber, man habe sie nicht unter Druck gesetzt, als sie der Kandidatur zustimmte. Bisher lässt sie offen, ob sie auf der LREM-Liste beim zweiten Durchgang gegen die Sozialistin Anne Hidalgo und die Konservative Rachida Dati antritt. Sie bedauert jedoch, den Ausdruck „Maskerade“ gebraucht zu haben.
Sie macht der Regierung und dem Staatschef im Gespräch mit Le Monde aber viel gravierendere Vorwürfe als die Durchführung der Wahlen. Sie beansprucht für sich, wegen des Covid-19 sehr früh Alarm geschlagen, damit aber kaum Gehör gefunden zu haben.
Das Paradoxe an dieser Selbstrechtfertigung ist, dass Agnès Buzyn noch als Ministerin am 24. Januar im Fernsehen erklärt hatte: „Das Risiko einer Ausbreitung des Coronavirus in der (französischen) Bevölkerung ist sehr gering.“
Die Oppositionsparteien haben sofort reagiert und verlangen aufgrund dieser Enthüllungen eine offizielle Stellungnahme der Staatsführung zu Buzyns Aussagen. Jean-Luc Mélenchon von der linken France insoumise ist „konsterniert“: „Stimmt das, was sie sagt? Wenn ja: Warum wurde nichts unternommen?“
Gravierender Fehler
Der Grüne David Belliard fordert eine parlamentarische Untersuchung, wenn die Covid-19-Krise überstanden ist: „Wenn es wahr ist, was Buzyn sagt, dann liegt ein gravierender Fehler der Staatsspitze vor.“
Die Konservative Nadine Morano meinte: „Dieses Geständnis ist fürchterlich. Sie (Buzyn) wusste, dass der Tsunami kommt, und die Regierung hat nicht die nötigen Maßnahmen ergriffen, das wird wie der ganze Rest in Macrons Bilanz festgehalten werden.“ Die Regierungssprecherin Sybeth Ndiaye wollte die Äußerungen der Ex-Ministerin nicht kommentieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“