Corona-Lockerungen in Berlin: Das völlig falsche Signal

Der Senat hatte angekündigt, weitere Lockerungen erst bei einem stabilen Trend nach unten zu beschließen. Davon kann aber keine Rede sein.

Menschen stehen Schlange vor einer Eisdiele

Draußen ist wieder was los: Schlange vor einer Eisdiele in Prenzlauer Berg Foto: dpa

Wegen der – alternativ formuliert – stark oder dramatisch oder drastisch zurückgehenden Corona-Ansteckungszahlen hat der Senat am Dienstag dieses gelockert und jenes wegfallen lassen. Was konkret vor allem heißt: seit Freitag keine Testpflicht mehr in Biergärten und Geschäften und auch drinnen erlaubte Treffen von bis zu drei Haushalten. Die Sache ist bloß: Die Zahl der Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche sinkt nicht mehr schnell.

Weil das auch schon am Dienstag gut erkennbar war, stellt sich die Frage, ob eine weitere Woche des Abwartens nicht besser gewesen wäre. Hätte der Senat vergangene Woche gelockert, hätte sich diese Frage nicht gestellt. Da hatte sich die 7-Tage-Inzidenz binnen neun Tagen fast halbiert, von 64 auf 34, der Trend schien unaufhaltbar. Jene Lockerungen passierten aus einem ganz praktischen Grund nicht: Wegen des vorangehenden Pfingstfests tagte der Senat nicht.

Nun sieht das anders aus. Während die Zahlen in Brandenburg weiter stark gesunken sind und mittlerweile unter 20 liegen, hat sich die 7-Tage-Inzidenz in Berlin bis Mitte dieser Woche kaum weiter verringert, bis Donnerstag nur auf 31,4. Zwischenzeitlich war die Zahl gegenüber dem Vortag sogar mal gestiegen.

Jetzt kann man natürlich relativieren: Ja, aber guck doch mal, woher wir kommen, wir lagen in Berlin doch mal fast bei 200, da ist 30 doch fast nichts mehr. Absolut betrachtet aber gilt: Bei einem 30er-Wert leuchtet die Corona­warnampel des Landes weiter rot, für Grün braucht es Werte unter 20.

Ein Blick nach Großbritannien, wo die Mutante Delta die Infektionszahlen wieder ansteigen lässt, wäre ein guter Grund für Vorsicht.

Wer bei dem zunehmend schönen Wetter dichte Menschenmengen weitgehend ohne Maske zusammenstehen sah, musste sich ohnehin fragen, wie die Ansteckungszahlen so drastisch sinken konnten. Immer mehr Geimpfte und Tests dürften entscheidend gewesen sein.

Jetzt aber sieht es so aus, als mache sich das oftmalige Ignorieren der Corona­regeln bemerkbar, als stoße die Entwicklung im dicht besiedelten Berlin anders als in Brandenburg an ihre Grenzen. Und auch ein Blick nach Großbritannien, wo offenbar die stark ansteckende Mutante Delta die Infektionszahlen wieder deutlich ansteigen lässt, wäre ein guter Grund für Vorsicht.

Als der Senat erste Lockerungen vor zweieinhalb Wochen vorstellte, band er weitere Öffnungen an einen festen Trend, also nicht an ein bloßes Stagnieren unterhalb eines bestimmten Werts. Nun aber kommt die Lockerung in genau so einer Situation – und damit lautet die Botschaft für viele, auch wenn es Senatsmitglieder am Dienstag mehrfach bestritten: Corona ist eigentlich vorbei, wir haben’s hinter uns.

Schön, wenn es letztlich so wäre – aber die Werte geben es nicht her. Und auch wenn die Intensivstationen auf besagter Ampel wieder im grünen Bereich sind: Weiterhin sterben täglich Menschen an Corona. Gefordert ist vom Senat jetzt eine klarere Ansage denn je, die Regeln zu Abstand und Maske einzuhalten, und noch mehr zu Tests aufzurufen – und im Zweifel der Mut, eine Lockerung wieder rückgängig zu machen, wenn sich zeigt, dass sie nicht funktioniert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.