Corona-Krise in Spanien: Virus trifft auf kaputtes System
Das Virus, die Kürzungen und die Privatisierung: Spaniens Gesundheitssystem ist marode. Schuld sind die Sparmaßnahmen nach der Finanzkrise.
![KrankenhausmitarbeiterInnen applaudieren vor einer Notaufnahme. KrankenhausmitarbeiterInnen applaudieren vor einer Notaufnahme.](https://taz.de/picture/4038295/14/coronavirus-spanien-1.jpeg)
„Normalerweise haben wir hier um die 110 Notfälle am Tag. Jetzt sind es über 180“, berichtet Morante. Alle kämen mit Fieber, mit Atembeschwerden. Die Notaufnahme ist voll, die Intensivstationen ebenso, und mittlerweile sind selbst Wiederbelebungsplätze für die Intensivversorgung umgerüstet. Für normale Notfälle, wie etwa einen Herzinfarkt, sei in seinem Krankenhaus noch genau ein Bett reserviert.
„Es fehlt an allen Ecken und Enden“, beschwert sich Morante und kritisiert die Konservativen, die seit den 1990er Jahren ununterbrochen regional in Madrid regieren. „Die reichste Region Spaniens ist Vorletzter in Sachen Gesundheitsbudget“, schimpft der Arzt. Die Regierung unter der Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso gibt für Gesundheit nur wenig mehr pro Einwohner aus als Andalusien – der arme Süden Spaniens.
Der Arzt klingt müde am Telefon. „Die Schichten dauern bis zu 24 Stunden. Du bist irgendwann so fertig, dass du echt aufpassen musst, keine Fehler zu machen, etwa beim Ein- und Auskleiden“, sagt Morante. „Da ist dieser ständige Stress, diese Angst, dir das Virus einzufangen und dann zu Hause die deinen anzustecken.“
Am Anfang der Krise wechselten sie noch zweimal am Tag die Masken, jetzt nur noch jeden Tag. Volle Ausrüstung, mit Schutzanzug, Gesichtsschutz und chirurgischer Maske gibt es nur dort, wo die Patienten bereits eingeliefert sind. „Es ist absurd, aber du untersuchst jemanden mit hohem Fieber, Husten, Atembeschwerden bei der Aufnahme mit ein paar Handschuhen und einer leichten Maske. Einmal aufgenommen, behandelst du ihn dann kurz danach im Vollschutz“, erklärt Morante. Nicht nur die Vorräte an Schutzmaterial gingen aus, es fehlten Beatmungsgeräte und Betten.
Massiver Stellenabbau
„Insgesamt hat das Gesundheitssystem in Madrid durch die Sparpolitik seit 2008 infolge der Eurokrise 4.000 Stellen aller Art verloren“, erklärt Mariano Martín von der Gewerkschaft CCOO. Und die Zahl der Betten ging um rund 3.000 zurück, während die Zahl der Einwohner der Region um 500.000 stieg. Viele Einrichtungen seien völlig veraltet. Die meisten Apparate wurden vor 10 bis 15 Jahren angeschafft. Jetzt will Díaz Ayuso Hotels zu Behelfskrankenhäusern umfunktionieren und 1.700 Zeitverträge ausstellen.
Madrids öffentliches Gesundheitssystem verfügt über 33 Krankenhäuser, wovon fünf privat geführt werden. Dem gegenüber stehen 50 völlig private Kliniken. Das bedeute „Wahlfreiheit der Patienten“, so die Regionalregierung.
„Das Problem begann lange vor der Eurokrise“, sagt Javier Padilla, Hausarzt in einem Gesundheitszentrum in Fuenlabrada im Norden Madrids. „In den letzten zwanzig Jahren gibt die konservative Regierung immer weniger für das öffentliche System aus und privatisiert, wo es nur geht“, erklärt der Experte in Gesundheitspolitik, der vergangenen Herbst ein Buch über die Gesundheitspolitik mit dem Titel „Wen werden wir sterben lassen?“ veröffentlichte.
Private Kliniken behandeln nicht
Vieles wurde ausgelagert, so etwa Putzdienst und Wäscherei. Immer wieder klagen Ärzte und Pfleger über die großzügigen Verträge, die erst dann Strafen androhen, wenn es etwa mehr als eine Woche an Klopapier fehlt oder unzureichend geputzt wird. Immer wieder wird bekannt, dass Kleidung und Bettwäsche mit zu niedrigen Temperaturen gewaschen wird, um Geld zu sparen. Praktiken, die spätestens jetzt mit dem Coronavirus lebensgefährlich sein können. Die meisten Laboratorien und viele Spezialbehandlungen sind ebenfalls privat. Der Kassenprüfungshof beschwerte sich in seinem letzten Bericht, dass dies bis zu sechsmal so viel koste wie vor der Privatisierung.
Doch was für den Steuerzahler teuer kommt, macht sich für die konservativen Partido Popular von Díaz Ayuso bezahlt. Die Partei hielt jahrelang bei Lizenz- und Vertragsvergaben die Hand auf. Laut ermittelnden Richtern flossen bis zu 5 Millionen Euro aus dem Gesundheitshaushalt in die Parteikasse.
„Durch die Auslagerung wichtiger Bereiche verliert das öffentliche System seine Souveränität“, sagt Padilla. Für ihn ist das private System ein „Parasit des öffentlichen Systems“. Die Coronakrise zeige dies deutlich: „Die privaten Versicherer übernehmen die Behandlungen nicht. Rein private Krankenhäuser schicken die Patienten in die öffentlichen Krankenhäuser. Das Gleiche versuchen die privat geführten Krankenhäuser, die dem öffentlichen System angehören.“ Die spanische Regierung ordnete vor wenigen Tagen an, dass die Privaten im ganzen Land dem öffentlichen System unterstellt werden. Ob sie dafür Krankenkassensätze oder private Sätze kassieren, ist nicht klar.
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