Corona-Forschung: Was wir heute über Corona wissen
Über Jahre hat das Sars-CoV2-Virus unser gesellschaftliches Leben auf Trab gehalten, auch die Wissenschaft. Welche Fragen noch offen sind.
1. Das Virus
Da waren Alpha, Beta und Omikron. Alles Virusvarianten von Sars-CoV-2 mit ihren eigenen Tücken. „In den vergangenen Jahren wurde die kontinuierliche Evolution von Sars-CoV-2 so engmaschig verfolgt und untersucht wie nie zuvor“, sagt Andreas Bergthaler, Professor für Molekulare Immunologie an der Universität Wien. Die Ankunft der Omikronvariante 2021 habe dennoch auch Forschende überrascht und das Virus habe sich seitdem weiterhin stark verändert. Dass sich neue Mutationen ausbilden, mit deren Hilfe das Virus besser um das menschliche Immunsystem herumkommt, sei vorhersehbar, sagt Bergthaler. „Präzise langfristige Vorhersagen bleiben jedoch schwierig.“ Die zurzeit dominante Variante heißt JN.1.
Die intensive Beobachtung des Virus erleichtert die Entwicklung neuer Medikamente. Durch sie wurde immer besser verstanden, wie das Virus mit den menschlichen Wirtszellen interagiert. Forschende haben beispielsweise verschiedene Zelleigenschaften gefunden, die eine Infektion erleichtern. Daraus leiten sie neue Ansätze für Therapien ab.
Doch eine große Ungewissheit bleibt. Wo kam das Sars-CoV-2-Virus überhaupt her? Dazu gibt es derzeit zwei Theorien. Viele Fachleute halten eine Zoonose für wahrscheinlich. Also, dass das Virus von Tieren auf Menschen übertragen wurde. Allerdings konnte kein eindeutiger Ursprung gefunden werden. Eine zweite Möglichkeit ist, dass es aus der Wissenschaftseinrichtung Wuhan Institute of Virology kam, aus Versehen oder absichtlich. Hierfür gibt es keine Beweise und Forschende wie Edward Holmes von der University of Sydney in Australien stufen das als Verschwörungstheorie ein.
Auf das aktuelle Geschehen bezogen stellen sich vor allem die Fragen: Wird Covid-19 zu einer saisonalen Erkrankung, die vorrangig im Winter auftritt? Wie stark werden sich die Varianten verändern? Könnte das Virus sich so schnell wie die Grippeviren wandeln? Und könnte es noch mal zu einer größeren Ausbruchswelle kommen?
2. Die Immunantwort
Warum hatten manche Menschen einen ganz milden Krankheitsverlauf? Diese Frage beantwortet möglicherweise unser Immunsystem. Dieses lässt sich grob in zwei Komponenten teilen: die angeborene und die adaptive, also erlernte Immunantwort. Beide spielen bei einer Coronainfektion eine Rolle. Das angeborene Immunsystem agiert unspezifisch, dafür reagiert es aber sehr schnell. Dadurch kann es manch eine Erkrankung schon im Keim ersticken. So erklären sich Fachleute den milden Verlauf bei einer Erstinfektion.
Präziser arbeitet die adaptive Immunantwort, zu der B- und T-Zellen gehören. Bei einer Infektion lernen sie, an welchen Eigenschaften sie die Angreifer erkennen – und werden beim nächsten Mal schnell aktiviert. Wie heftig eine erneute Coronaerkrankung verläuft, hängt offenbar vor allem von der Effizienz der T-Zellen ab. „Eine starke und koordinierte T-Zell-Antwort ist entscheidend für den Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und für die Aufrechterhaltung einer langfristigen Immunität“, erklärt Roman Wölfel, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr in München.
Und dann bleibt da noch ein Kuriosum. Eigentlich hatte die komplette Bevölkerung mittlerweile Kontakt zum Virus. Trotzdem haben sich manche Menschen scheinbar bis heute noch nicht mit dem Virus angesteckt. Woran das liegt, ist unklar. Möglicherweise trügt schlicht der Eindruck: Verschiedene Analysen legen nahe, dass sich rund eine von fünf Personen zwar ansteckt, aber keine Symptome hatte. Ohne regelmäßige und verdachtsunabhängige Tests wird die Erkrankung dann nicht festgestellt.
Ebenso unklar ist, wie viele Viruspartikel nötig sind, um eine Krankheit auszulösen. „Frühere Untersuchungen galten nur für Menschen, die vorher weder infiziert noch geimpft waren. Da inzwischen alle geimpft oder infiziert wurden, gelten wieder ganz andere Regeln, die wir aber nicht wirklich kennen“, erklärt Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie des Uniklinikums Essen.
3. Die Therapie
Spezifische Medikamente waren zu Beginn der Pandemie rar. Seit Februar 2022 kann das Medikament Paxlovid in Deutschland ärztlich verschrieben werden. Es besteht aus zwei Wirkstoffen und soll im Grunde die Vermehrung des Virus im Körper hemmen und dadurch einen schweren Verlauf verhindern. Fachleute halten das für eine relativ gute Lösung. Auch wissenschaftliche Studien legen nahe, dass Paxlovid die Todesrate verringert. Zudem reduziere die Behandlung die Zahl der Menschen, die mit einer Coronaerkrankung ins Krankenhaus müssen.
Dennoch bleiben Zweifel an der Wirksamkeit des Medikamentes. Selbst in einer im April 2024 veröffentlichten Studie des Herstellers Pfizer ging es den Patienten mit Paxlovid nicht besser als denjenigen, die nur ein Placebo bekommen hatten.
Fachleute wie Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln sehen daher weiterhin einen großen Bedarf an neuen antiviralen Medikamenten. In anderen Ländern wie England und den USA sind noch weitere Therapien neben Paxlovid zugelassen. Doch generell wird mehr klinische Forschung benötigt, um die besten Wirkstoffe für unterschiedliche Patientengruppen zu finden. Vorerkrankungen, der Immunstatus und die Schwere der Erkrankung sind nur ein paar Beispiele dafür, welche Faktoren eine Behandlung beeinflussen.
4. Die Impfung
Die Impfungen gegen Sars-CoV-2 wirken. Das ist sicher. „Geimpfte Personen entwickeln eine robuste T-Zell-Antwort, die oft breiter ist als die durch eine natürliche Infektion induzierte Antwort, was zu einem besseren Schutz vor schweren Verläufen und Tod führt“, sagt der Mikrobiologe Roman Wölfel. Allerdings ist mittlerweile auch klar: Vor einer erneuten Erkrankung schützt die Impfung nur in den ersten paar Monaten. Danach kann man sich durchaus wieder mit Covid-19 anstecken – doch selbst dann hilft die Impfung noch, indem sie für mildere Symptome sorgt.
Da sich das Virus zu immer neuen Varianten verändert, müssen auch die Impfstoffe ständig angepasst werden. Das funktioniert bisher recht gut. Seit Anfang August gibt es in den Arztpraxen den aktualisierten Impfstoff. Der wirkt auch gegen die aktuell kursierende Variante JN.1. Einziges Problem: Die Impfung hängt immer einen Schritt hinterher. Ganz neu aufkommenden Varianten kann sie erst einmal nicht begegnen.
Es muss also immer im Blick bleiben: Wie effektiv sind die Auffrischungsimpfungen gegen neue Varianten? Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, findet es daher umso wichtiger, einen breit wirksamen Impfstoff zu entwickeln, der nicht nur das Sars-CoV-2 Virus abdeckt, sondern auch andere Coronaviren. Idealerweise könne ein solcher Impfstoff zudem eine Schleimhautimmunität erzeugen, sodass die Ansteckung verringert wird. „Aber das ist sehr schwer und braucht intensive Forschungsbemühungen.“
5. Long Covid und das Post-Covid-Syndrom
Als Long Covid werden Symptome bezeichnet, die nach vier Wochen akuter Erkrankung weiterbestehen beziehungsweise neu auftreten. Das Post-Covid-Syndrom wird bei Patienten diagnostiziert, die nach zwölf Wochen immer noch an solchen Beschwerden leiden. Die Zuordnungen verschwimmen in der Realität aber häufig.
Zu beiden Phänomenen wird derzeit geforscht und es gibt bereits ein paar Erkenntnisse. Wie hoch das Risiko für ein Post-Covid-Syndrom ist, hängt etwa von der Virusvariante ab, an der man erkrankt. Demnach kommt es besonders häufig bei dem ursprünglichen Wildtyp vor, gefolgt von den Alpha- und Delta-Versionen. Omicron scheint bisher das geringste Risiko zu tragen.
Zu der Frage, wie Long Covid entsteht, gibt es einige Theorien. Viruspartikel könnten sich in manchem Gewebe im Körper vor dem Immunsystem verstecken und dann immer wieder Entzündungen und Immunantworten hervorrufen. Auch Autoimmunreaktionen, bei denen das eigene Immunsystem den Körper angreift, sind im Gespräch, ebenso wie kleine Blutgerinnsel. Zudem könnte eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms entscheidend sein. Dieses hat einen großen Einfluss auf das Befinden. Wahrscheinlich spielen verschiedene Faktoren gleichzeitig eine Rolle und bedingen sich teils gegenseitig.
Um möglichst wirksame Behandlungen zu entwickeln, wäre es wichtig, die Mechanismen von Long Covid und dem Post-Covid-Syndrom besser zu verstehen. Die Grundsteine sind gelegt, nun müssen die Puzzleteile zusammengesetzt und die einzelnen Komponenten weiter untersucht werden. Der Immunologe Andreas Bergthaler sieht bereits sehr großen Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet. „Und dennoch entnimmt man den Rückmeldungen von Long-Covid-PatientInnen, dass die medizinische Versorgung stark verbesserungswürdig ist.“
Besonders bei Kindern und Jugendlichen sind noch viele Fragen ungeklärt. Schon dass definitive Tests fehlen, ist ein Problem: Verweisen die Symptome tatsächlich auf eine Long- oder Post-Covid-Erkrankung oder steckt etwas anderes dahinter? Das – und die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten – sind eine große Belastung für die betroffenen Familien.
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