Corona-Bußgeldkatalog: Politik ohne Grundlage
Immer mehr Länder wollen Corona-Regeln mit Bußgeldern durchsetzen – auch Berlin. Doch das ist überflüssig und trifft die Falschen.
B ei der Kindererziehung ist es fast eine Binsenweisheit: Strafen bewirken nichts. In der Regel führen sie nicht dazu, dass ein Kind einsieht, dass es falsch gehandelt hat. Stattdessen beschäftigt es sich vor allem damit, was die Strafe für es selbst bedeutet. Eltern greifen deswegen kaum noch zu Stubenarrest und Taschengeldentzug.
Im Umgang mit Erwachsenen ist die Gesellschaft längst nicht so weit. Nach dem Vorpreschen von Nordrhein-Westfalen hat sich nun – neben weiteren Landesregierungen – auch der Berliner Senat auf die Einführung eines Bußgeldkatalogs geeinigt, in der Hoffnung, dass sich Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen damit noch besser umsetzen ließen. Am Donnerstag soll er beschlossen werden. Es ist eine dumme Idee.
Das fängt schon damit an, dass die zu anscheinend mit bis zu 500 Euro zu bestrafenden Sachverhalte, etwa das Nicht-Einhalten des Mindestabstands oder der Verstoß gegen eine Ausweis-Mitführpflicht, massive Grundrechtseingriffe darstellen. Vergleichbare Bestimmungen hat es zuvor in einer demokratisch verfassten Gesellschaft niemals gegeben, JuristInnen bezweifeln deren rechtmäßige Regelung durch die notdürftig beschlossenen Verordnungen.
Dazu kommt: Selten waren Verbote unpräziser formuliert. Oder hat schon jemand final beantwortet, ob es inzwischen erlaubt ist, allein auf einer Parkbank zu sitzen? Und wer soll beurteilen, ob ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten wurde? Polizisten mit Maßband? Polizeistaat, ick hör dir trapsen.
Strafmöglichkeiten gibt es bereits
Statt zu erklären, warum diese oder jene Maßnahme geeignet sein soll, die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen, greifen die Regierenden zu Strafen. Wieso eigentlich? Weil die Vorgaben bislang nicht eingehalten wurden? Wirklich? Die vollen Parks am Wochenende sind dafür jedenfalls kein Indiz. Oder weil es bislang keine Strafmöglichkeiten gab, etwa für Restaurants, die trotzdem ihre Türen öffneten? Dem ist nicht so.
Ein Indiz, dass die kontaktbeschränkenden Maßnahmen sehr wohl eingehalten werden, ist dagegen die abflachende Kurve der Neuinfektionen. In der vergangenen Woche sank der tägliche Anstieg bundesweit auf durchschnittlich 12,4 Prozent, nach 21,4 Prozent in der Vorwoche. Dass jetzt Bußgeldkataloge in Kraft treten, ist Politik ohne Grundlage – besonders in der Innenpolitik ein bekanntes Muster.
Während die gehorsamen Besserwisser sich zu Hause die Hände reiben, werden die Strafen vor allem Benachteiligte treffen. Menschen, die kein Zuhause haben, in dem sie sich die Hände reiben könnten, Flüchtlinge ohne Ausweis. Bestraft wird, wer nicht ausreichend informiert ist – weil ihm der Zugang zu Informationen oder Deutschkenntnisse fehlen. Die Bestraften werden sich dann vor allem fragen, was die Strafe für sie selbst bedeutet. Für die wenig Privilegierten steht die Antwort schon fest: eine Verschlimmerung des finanzielles Desasters, das die Krise jetzt schon ist.
Die einzigen, die Taschengeldentzug verdient haben, sind jene, die uns Bußgelder als Lösung verkaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung