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Comicjournalistin über ihre Recherche„Ich bin neugierig wie ein Kind“

Die Zeichnerin Sarah Glidden hat in Syrien, der Türkei und dem Libanon für „Im Schatten des Krieges“ recherchiert. Ein Gespräch über ihre Arbeit.

Damaskus im Jahr 2008 Foto: dpa

taz: Frau Glidden, Sie sind 2010 mit befreundeten Reportern einer unabhängigen Online-Publikation zu Recherchen in die Türkei gereist, nach Syrien, in den Libanon und Irak. Hatten Sie keine Angst vor Attentaten?

Sarah Glidden: Wir sind nicht in gefährlichen Gegenden gewesen. Unser Fokus lag auf Irakern, die sich auf der Flucht vor dem Krieg an sichere Orte begeben haben. Vielleicht ist der deutsche Titel meines Comics, „Im Schatten des Krieges“, ein bisschen irreführend. Viele denken, es ginge um Kriegsberichterstattung. Aber wir wollten das Danach zeigen.

Wie rüstet sich eine Comicjournalistin für so eine Reise?

Ich habe natürlich mein eigenes Equipment bei mir gehabt, ein Aufnahmegerät, ein Skizzenbuch und meine Kamera. Das sind meine drei „Must ­haves“. Und ich habe eine Menge gelesen vor der Reise.

Hatten Sie in der Region mit Antisemitismus zu tun?

Auf direkte Nachfrage, was selten vorkam, habe ich erzählt, dass ich jüdische Amerikanerin bin. Dann kam prompt: Ich habe nichts gegen Juden. Meine israelischen Freunde hatten allerdings ziemlich Angst um mich. Einer hat mich am Telefon für komplett wahnsinnig erklärt.

Bild: Sarah Shannon
Im Interview: Sarah Glidden

Die Künstlerin:1980 geboren, studierte Malerei an der Boston University. Erste Comics zeichnete sie, als sie im New Yorker Stadtteil Queens Teil des dortigen „Flux Factory artist col­lec­tive“ war. 2011 erschien ihre erste Comicreportage, der Bericht über eine sogenannte Birthright Israel Tour, dt. „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Seattle.

Der Comic:Der Band „Im Schatten des Krieges. Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei“ (engl. „Rolling Blackouts“, 2016) ist bei Reprodukt erschienen.

Sie berichten in erster Linie über die Recherchetätigkeit der Journalisten. Warum?

Ich wollte, dass meine Leser verstehen, wie Journalisten zu Werke gehen. Wir nehmen das normalerweise als gegeben hin wie Leitungswasser. Zuallererst bin ich allerdings meiner eigenen Neugierde gefolgt. Damals war die Situation ja anders als heute, wo alle über Fake News oder fehlende Medienkompetenz sprechen.

Die Situation in Syrien war auch eine andere. Welchen Eindruck hatten Sie vom Vorkriegs-Damaskus?

Ich habe die Stadt geliebt, am liebsten wäre ich gleich danach wieder hingefahren. Damaskus ist sehr schön. Es gab eine Menge Touristen, und viele junge Menschen aus aller Welt haben dort Arabisch gelernt. Eines war allerdings irritierend. In Beirut hatten alle, die wir getroffen haben, bis hin zum Klempner, sofort über Politik diskutieren wollen. Dann kommt man nach Syrien, und plötzlich ist Politik genau das, worüber partout niemand sprechen will.

Der Krieg in Syrien begann 2011. Haben Sie überlegt, die weitere Entwicklung in das Buch einzubeziehen?

Es gab diesen Impuls. Die Proteste begannen drei Monate nach unserem Aufenthalt. Aber ich wollte die Dinge so zeigen, wie wir sie wahrgenommen haben. Wie wir zum Beispiel aus dem Staunen nicht mehr rauskamen über die riesigen Assad-Porträts, die alle paar Meter in der Stadt hängen.

Ihr erstes Buch, „Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger“, ist stark aus Ihrer Perspektive gezeichnet und geschrieben. Wieso haben Sie Ihren Charakter diesmal stärker beobachtend angelegt?

Meine Geschichte ist diesmal einfach nicht das Wichtigste. Ich bin nur als eine Art Orientierungshilfe im Buch und um zu markieren, dass von einem bestimmten Standpunkt aus erzählt wird.

Sie haben mal gesagt, Sie würden sich selbst absichtlich als ahnungslos darstellen. Wozu?

Weil ich mir genau so vorkomme. Wenn ich über etwas berichte, bin ich zuerst mal neugierig wie ein Kind. Natürlich gibt man als Autorin sein Bestes, alles Mögliche herauszubekommen und auf den Punkt zu bringen. Ich möchte aber, dass mein Charakter dabei für meine Leser einen persönlichen Bezugspunkt darstellt. Niemand mag Besserwisser.

Wieso verwenden Sie diese milden Aquarellfarben?

Einmal ist das einfach meine Art, zu zeichnen und zu malen. Und dann wollte ich die Orte nicht orientalisieren oder das Klischee vom gewalttätigen Nahen Osten bedienen. Wir haben auf unserer Reise viele Orte gesehen, die auf uns vertraut wirkten, oder Straßen, die einfach nur von langweiligen Gebäuden gesäumt waren. Den meisten Panels habe ich Fotos zugrundegelegt für einen realistischen Eindruck. Journalismus ist ja erst mal kein besonders interessanter Beruf zum Angucken. Um die Leser nicht zu langweilen, konzentriere ich mich stark auf Gesten, Gesichtsausdrücke und Charaktere. Und dann leihe ich mir beim Film den Wechsel der Kameraperspektive.

Wie kamen Sie auf die Idee, Interviews, bei denen ein Simultanübersetzer dabei war, mithilfe sich überlappender Sprechblasen darzustellen?

Ich wollte die Panels nicht mit zu vielen Sprechblasen überfrachten. Die entscheidende Inspiration kam durch Radiointerviews, bei denen etwas übersetzt werden muss. Da benutzt man ja die Technik des Voice-over. Die Originalstimme wird von der Übersetzerstimme überlappt.

Es gibt im Buch einen großen Konflikt. Und zwar zwischen der Journalistin Sarah Stuteville und ihrem Kindheitsfreund Dan, der auf der Reise dabei ist. Wie war das für Sie?

Dan hatte sich, als Saddam schon tot war, für einen zeitlich begrenzten Kriegseinsatz gemeldet. Er kommt eigentlich aus einem sehr progressiven Haushalt, seine Eltern waren auch gegen Kriegsspielzeug. Sarah hat ihn gebeten mitzukommen. Denn sie hoffte, er würde, wenn er Menschen trifft, die unter den Folgen dieses Krieges leiden, seine Einstellung zum Einsatz überdenken, und sie könnte dann ein Porträt von ihm absetzen. Alle fanden das eine schlechte Idee, mich eingeschlossen. Es lief auch anders als geplant. Dan hat schnell kapiert, was sie da mit ihm vorhatte. Also hat er sie immer wieder auflaufen lassen. Als er stattdessen anfing, mir unter vier Augen von seinen Zweifeln zu erzählen, war mir das ziemlich unangenehm. Daraus kann man lernen, berichte nie über Freunde.

In Damaskus gibt es viele Gespräche mit Emigranten aus der oberen Mittelklasse des Irak, die sich lautstark über die USA beschweren. War herauszubekommen, ob sie früher Saddam-Unterstützer waren?

Nein, das war schwierig. Die meisten haben gesagt, sie hätten sich nicht für das Regime interessiert. Das kann eine Rechtfertigungsstrategie sein. Aber auch in Diktaturen leben viele ja tatsächlich einfach nur ihr Leben. Mein Eindruck war, dass es sich um weitgehend unpolitische Menschen gehandelt hat.

Sie treffen zuvor einen Kontaktmann, früher ein baathistischer Militär, der für Saddam im Ersten Golfkrieg kämpfte und nun unwidersprochen einen Haufen Lügen von sich gibt. Etwa, dass damals weder iranische Städte noch Zivilisten bombardiert worden seien. Wollten Sie das nicht richtigstellen?

Klar haben wir darüber gesprochen, dass man diesem Typ nicht trauen kann. Ich wollte, dass man das auch spürt. Aber ich mag nicht mit dem Holzhammer auf etwas hinweisen. Die Leser können ja auch mal etwas nachlesen und sich ihre eigenen Gedanken machen.

Aktuell engagieren Sie sich mit anderen Aktivisten gegen die Trump-Administration. Wann hatten Sie genug?

Mit diesen kleinen Comics zugunsten von ACLU (American Civil Liberty Union, eine Bürgerrechtsorganisation, Anm. d. Red.) habe ich angefangen, als Trump begann, mehr als nur verbal gegen Immigranten und Flüchtlinge vorzugehen. Als Aktivistin würde ich mich übrigens nicht bezeichnen. Viel von dem, was jetzt passiert, ist ganz normale demokratische Bürgerbeteiligung.

2016 sagte Trump: „Der Krieg im Irak war ein riesengroßer Fehler.“ Ihre Freundin Sarah Stuteville sagt, sie halte den Krieg für „die blödeste Idee aller Zeiten“. Sind Liberale an dem Punkt mit Trump einig?

Es gibt mit Ausnahme einiger Republikaner in den USA heute einen großen Konsens, dass der Krieg ein Fehler war. Aber darüber, was zu tun ist, gehen die Meinungen stark auseinander. In diesem Krieg wurde unheimlich viel zerstört. Und die Flüchtlinge, die wir getroffen haben, sind genau die Leute, die es bräuchte, um das Land wieder aufzubauen: Ärzte, Anwälte, Ingenieure, alle möglichen Akademiker. Dasselbe geschieht jetzt in Syrien. Wie baut man Länder auf, wenn alle geflohen sind?

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1 Kommentar

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  • Ich fürchte, um den Aufbau geht es nicht. Nicht im Irak, nicht in Syrien und auch sonst nirgendwo auf der Welt. Autorität braucht für ihre Rechtfertigung kein funktionierendes Gemeinwesen, sondern eins, von dem sie glaubhaft behaupten kann, dass es alleine nicht klar kommt. Je mehr Akademiker also aus ihren Herkunftsstaaten flüchten, umso besser ist das für diejenigen, die sich als Besserwisser profilieren wollen. Ob diese Leute US-Amerikaner, Deutsche, Russen, Syrer oder Iraker sind, ist sekundär. Und wenn die Flüchtlinge nicht so zahlreich wären und die Bürokratien ihrer Zielländer nicht dermaßen unflexibel, dass die Verantwortlichen sich schwer überfordert fühlen müssen, wäre der Brain-Drain vermutlich Staatsräson.