Comic zu Verschwörungsideologien: Verwandlung zum triefenden Geist
Von Verschwörungsideologie durchdrungen: Wie es sich anfühlt, den Vater nicht mehr erreichen zu können, erzählt Ika Sterling in „Der Große Reset“.
„Papa, mach einen Hund.“ Früher gab es eine liebevolle Beziehung zum Vater, das stellt die Autorin der Graphic Novel zur Einleitung voran. Die ersten Seiten des bunt aquarellierten Comics gehören der Erinnerung an einen zugewandten Vater, der Tierformen aus Äpfeln schnitzt. In der Gegenwart der Erzählung wird sich Studentin Ika dann für drei Tage zurück nach „Bad Kaffheim“ begeben. Am Bahnhof wartet dort ihre Schwester. Und als sie so zwischen den gezeichneten Pfälzer Weinbergen hindurch nach Hause kurven, rollen ausgetrunkene Red-Bull-Dosen durchs Auto.
Nach „dem Alten“ gefragt, verliert Ikas Schwester, die weder über noch mit dem Vater sprechen möchte, schnell die Geduld. Sie muss sich arrangieren. Denn sie ist wegen Corona arbeitslos geworden und wohnt wieder bei den Eltern. Ob aus dem Gerede des Vaters darüber, alles aufzugeben und auszuwandern, jetzt tatsächlich Taten werden, muss Ika selbst herausfinden. Es würde die Scheidung der Eltern bedeuten, Verkauf des Elternhauses, endgültigen Verlust des Vaters sowieso – und was wird dann aus dem alten Hund?
Bei der Ankunft wischt eine Nachbarin im Arbeitskittel gerade eine Außenwand mit dem Putzlappen ab. Dank solch aufmerksam beobachteter Details erscheint die dargestellte Welt hier nicht als beliebige Kulisse, sie ist sehr real und bewohnt. Wer selbst vom Dorf kommt, erinnert sich: Hier wissen alle alles übereinander. Man versteht die genervte Schwester gleich viel besser.
Den Vater zeichnet Ika Sperling als ein durchscheinendes Wesen. Fast wirkt er wie ein Geist, in der Form irgendwo zwischen Michelin- und Lebkuchenmännchen, das halb mit Flüssigkeit gefüllt und halb leer ist. Er lebt unter Kopfhörern im Wohnzimmer, zieht sich Videos und Würstchen rein, abgekoppelt von den anderen Menschen im Haus, das immer wieder doppelseitig, als sogenannter Splash, wie ein offenes Puppenhaus gezeigt wird. Für jeden Charakter ein Raum. Alle sind für sich.
Vom Wahn aufgewühlt und weggespült
Wie durch eine semipermeable Membran dringt die Flüssigkeit aus dem Behältnis Vater heraus, tropft und gießt sich aus, wenn er über seine Themen spricht. Die aus Wasserfarben gemalte Welt dieser Geschichte droht ständig von seinem Wahn aufgewühlt und weggespült zu werden.
Anlass dazu kann ihm das Zusammentreffen mit Gleichgläubigen auf dem örtlichen Weinfest sein. Aber auch der Vegetarismus seiner Tochter. Oder die Aufforderung, in der Tierarztpraxis, eine Maske zu tragen.
Die Verwandlung zum triefenden Feuchtgeist ist passiert, bevor die Handlung einsetzt. Und die Handlung wird enden, lange bevor der Vater auswandert, sich – der großen Verschwörung zuvorkommend – selbst umvolkt. Beides wäre spannend zu sehen gewesen. Das, wozu die Autorin ihre Leser*innen aber mitnimmt, fast wie zur moralischen Unterstützung, ist zur Zeugenschaft ihres Versuchs, den Vater noch mal zu erreichen.
Zu zwei Gesprächsversuchen mit ihm wird es während des Besuchs kommen. Beide Male dehnt sich der Raum zwischen ihnen aus. Beide Male tropft und fließt es. Beide Male ächzt Ika überfordert unter der Last, gesehen und gehört werden zu wollen.
Keine Offenbarung, wo es keine gibt
Weil sie schon zu wissen scheint, dass die inhaltliche Auseinandersetzung nirgendwohin führt, versucht sie stattdessen, die persönliche Beziehung in der Vordergrund zu stellen: „Aber ist dir egal, was dann aus uns wird?“ „Wie kannst du denn alles wegwerfen, was du hier hast. Deinen Job. Dein Haus. Deine Familie. Warum gibst du alles auf, wegen irgendwas was irgendjemand irgendwo im Internet gesagt hat!“
Ika Sperling, „Der Große Reset“. Reprodukt, Berlin 2024. Graphic Novel, farbig, 17 x 22,5 cm, Klappenbroschur. 176 Seiten, 24 Euro
Wie er vor seiner Verwandlung aussah, welcher Vater ihr verloren gegangen ist, zeigt Ika Sperling nicht als Bild. Vielleicht eine bewusste Entscheidung, weil so viele Menschen inzwischen eine Person kennen, die sich in so ein „Danach“ verwandelt hat – und auch ganz ähnlich klingt („Umvolkung, Diktatur, schwule Frösche“ – you name it). Aber es wird deutlich, wenn er ihr erneut ein kleines Tier aus einem Apfel schnitzt, mit ihr spricht wie früher, eine kleine Regression am Frühstückstisch, auf die die Tochter eingeht.
Es ist fast eine verbale Verklemmung, die sich durchs Buch zieht. Trotz der emotionalen Dringlichkeit handeln hier Personen, die sich wiederholen; sagen, sich nicht zu verstehen, Plattitüden austauschen oder die Szene gleich ganz verlassen. Das wirkt zwar realistisch, mehr Gegenrede hätte aber doch gutgetan.
Da die Autorin auf Introspektion, Gedankenblasen oder eine Erzählstimme, die Handlungen kontextualisiert, ganz verzichtet, wird zwar die je verschiedene traurige Resignation der Angehörigen eines Verschwörungsideologen spürbar, eine Offenbarung für die, die selbst Angehörige verlieren, ist aber nicht enthalten. Vielleicht, weil es bisher keine gibt.
In Internetforen wie r/qanoncasualites tauschen sich Menschen aus, die unter der Verwandlung nahestehender Menschen leiden. Der kollektive Rat dort lautet oft: Die Person ist nicht mehr da. Du kannst nichts tun. Nur trauern.
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