Comic-Autorin über ihren Urgroßvater: „Das perfekte Gegenbeispiel“
Westliche Instrumente und orientalische Musik: passt nicht? Zeina Abirached erzählt in „Piano Oriental“ vom Erfindergeist ihres Urgroßvaters Abdallah Kamanja.
taz am wochenende: Frau Abirached, inwieweit hat Ihre Geschichte „Piano Oriental“ einen realen autobiografischen Hintergrund?
Zeina Abirached: Zu großen Teilen. Es ist wirklich die Geschichte meines Urgroßvaters Abdallah Kamanja. Alles, was ich im Buch erzähle, ist so oder so ähnlich passiert. Ich selbst habe ihn nie kennengelernt. Er ist ja vor meiner Geburt gestorben. Er war aber, wie ich erzähle, Angestellter am Güterbahnhof in Beirut, hat nebenbei als Klavierstimmer gearbeitet – und wurde dabei zum Erfinder und Pianisten.
Gegen einen künstlerischen Beruf waren in Europa zu jener Zeit ebenfalls viele. Auch Abdallahs Vater im Libanon zeigte sich wenig begeistert von den Neigungen seines Sohns.
Er machte sich vermutlich Sorgen um dessen Auskommen. Künstler zu sein hatte damals sicher einen noch schlechteren Ruf als heute. Wenn ich heute erzähle, dass ich als Comic-Künstlerin arbeite, passiert es oft genug, dass mich die Leute fragen: Ja, und, abgesehen davon, was machst du eigentlich beruflich?
Abdallah Kamanjah wird also Angestellter am Güterbahnhof. Dennoch lässt er das Klavierspielen nicht sein.
Er muss ein sehr leidenschaftlicher, klassischer Pianist gewesen sein. Und gleichzeitig liebte er aber auch die orientalische Musik. Während seines gesamten Lebens arbeitete er daran, diese beiden künstlerischen Passionen zusammenbringen: das klassische westliche Klavierspiel mit den Traditionen der orientalischen Musik. Das war gar nicht so einfach. Denn sie passen eigentlich gar nicht zusammen.
Was macht ein „Piano Oriental“ aus, worauf gründen die Unterschiede zum klassisch westlichen Klavierspiel?
Verkürzt gesagt: Meinem Urgroßvater ging es darum, ein Klavier zu erfinden, auf dem sich orientalische Musik spielen lässt, für die oft Vierteltonschritte notwendig sind. Sie müssen sehen, dass in den 1950er und 1960er Jahren allgemein sehr viel mit Musikinstrumenten experimentiert wurde, auch mit dem Klavier. Es ging darum, ein Instrument anders als gewohnt klingen zu lassen. Insofern lag so ein Projekt damals auch im Libanon in der Luft. Was mich interessiert, ist: Dieses Piano Oriental, das er gebaut hat, ist ein bilinguales Klavier. Ein Klavier, bei dem in einem westlichen Musikstück plötzlich ein wahrnehmbarer orientalischer Ton erklingen kann – ohne dass irgendetwas diese Möglichkeit des Wechsels verriete: Es sieht aus und lässt sich genauso spielen wie jedes andere Klavier der Welt. Das war für mich der entscheidende Aspekt, dass man mit diesem Klavier von einer musikalischen Sprache in die andere wechseln kann.
geboren 1981 in Beirut, wuchs während des Bürgerkriegs im Libanon auf. Ausbildung an der Akademie der Künste in Beirut. Mit Anfang 20 zog sie nach Paris. Neben „Piano Oriental“ liegen zwei weitere ihrer Comics auf Deutsch im Avant Verlag vor.
Diese Sprachmetapher, dieses Wechseln von einer in die andere Perspektive, nutzen Sie in Ihrer Graphic Novel, um in der Erzählung Ihr eigenes Leben mit der Geschichte Ihres Urgroßvaters zu verschränken. Warum?
Das ist für mich mehr als eine Metapher. So habe ich mich prinzipiell der Geschichte angenähert. Ich fühle mich ebenfalls zwei Kulturen zugehörig, habe zwei Muttersprachen, Französisch und Arabisch. Ich bin im Libanon geboren, lebe aber seit fünfzehn Jahren in Paris. Mich hat die Geschmeidigkeit fasziniert, mit der ein solches Musikinstrument ermöglicht, diese Kopfgymnastik, diesen akrobatischen Wechsel zwischen zwei verschiedenen kulturellen Traditionen, zu absolvieren. Zwischen Kulturen, die gerade infolge der aktuellen Entwicklungen so unvereinbar erscheinen. Für diese angebliche Unvereinbarkeit ist es das perfekte Gegenbeispiel.
Gleichzeitig scheint das Klavier und seine Tastatur ein perfektes Symbol für eine Ästhetik, die sich so entschieden auf Schwarz und Weiß beschränkt wie Ihre Zeichnungen: Sie lehnen ja sogar Grautöne ab?
Seit ich Comics mache, habe ich mich für Schwarz-Weiß als Ausdrucksmittel entschieden. Es ist radikaler. Es erlaubt keine Kompromisse bei der Gestaltung der Panels, zwingt zu grafischen Lösungen. Und gerade bei „Piano Oriental“ hatte ich Lust, stark motivisch zu arbeiten.
Ihre gezeichneten Klaviertasten tauchen an völlig unerwarteten Stellen ihrer Bilder auf, an einer Hotelfassade, im Gebiss, auf einem Teppich, auf den Schuhen oder in den Fensterläden?
Ich wollte durch Wiederholungen und Transpositionen von Motiven eine visuelle Sprache entwickeln, die zu dieser Erzählung passt. Meine große Frage war: Wie zeichnet man Musik? Wie bekommt man es hin, dass Zeichnungen den Wechsel der Musik und der Klänge ausdrücken, etwa wenn Abdallah in Wien ist, um dem Klavierbauer Hofman seine Erfindung vorzustellen.
Und das geht in Schwarz-Weiß besonders gut?
Ich glaube schon. Schwarz-Weiß erlaubt, grundsätzliche Code-Wechsel klar zu gestalten: Beispielsweise indem ich einen Teil der Seiten weiß auf schwarz, andere schwarz auf weiß gestalte. Gleichzeitig bekommt der Rhythmus in Schwarz-Weiß eine stärkere Bedeutung. Oder eine Entscheidung, eine Seite eher vertikal oder horizontal anzulegen.
Ähnlich einer Partitur?
Ich habe eine Freundin, die Pianistin ist. Sie hat versucht, meine Erzählung am Klavier zu interpretieren. Das war mehr ein Spaß. Aber es war trotzdem sehr interessant.
Auf das Piano-Projekt kommen Sie in Ihrer Graphic Novel erst relativ spät zu sprechen. Das Thema Musik ist aber ständig präsent im Beirut vor den Bürgerkriegen, also vor 1975, und das Sie zeigen. Sie selber sind 1981 geboren?
Ich habe dieses alte Beirut nie gekannt. Ich wurde ja erst während des Bürgerkriegs geboren. Ich weiß, von Bildern, natürlich, wie es ausgesehen haben muss, und dass das heutige Beirut sehr verändert ist. Ich wollte aber dieses Beirut der 1960er Jahre mit meinen Zeichnungen neu schaffen – diese vitale, orientalische Stadt, mit ihren Suks, der Menschenmenge auf den Plätzen, den Erdnussverkäufern, dem Gedränge und eben den Geräuschen der Straße und des Lebens. Die sind Teil des kollektiven Gedächtnisses, unseres sonoren Erbes. Für mich stand fest, dass dieses Beirut eine stark klangliche Komponente haben müsste.
Zeina Abirached: „Piano Oriental“. Übersetzung aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant Verlag, Berlin 2016. 212 Seiten, 29,95 Euro
Sie entwerfen die libanesische Metropole Beirut, das alte Beirut, zugleich als eine Stadt ohne Religion, ohne Politik und Gewalt. Ist das als als ein Manifest zu verstehen?
Sagen wir: Es ist eine bewusste Entscheidung. Auch in meinen vorhergehenden Büchern, die vom Bürgerkrieg handeln, habe ich darauf verzichtet, Gewalt zu zeigen: Sie spielt im Hintergrund eine Rolle. Sie ist aber aus meinen Bildern verbannt, genauso wie Religion und Politik. Gewalt ist nicht im Fokus. Ich richte meine Kamera auf andere Orte, als die, deren Bilder die Medien beherrschen. Das lässt „Piano Oriental“ vielleicht mitunter märchenhaft wirken. Und das ist in Ordnung, ich habe nichts dagegen, wenn man das so sieht. Wobei die Geschichte aber nicht wirklich gut ausgeht.
Nein, eher tragisch: Ihr Urgroßvater scheitert letztlich und stirbt im Januar 1975.
Ein paar Monate bevor der Bürgerkrieg ausbricht. Es ist dadurch für mich ein wenig, als wäre er der letzte Zeuge jener Zeit vor dem Bürgerkrieg. Das Piano Oriental, das er erfunden hat, existiert noch in Beirut. Obwohl es hätte in Serie gehen sollen, ist es das einzige, das es je gab. Der Prototyp. Aber immerhin: Anfang September war ich nach Tournai in Belgien eingeladen zu einem Musikfestival, wo man – stellen Sie sich’s vor! –, angeregt durch meinen Comic-Roman, ein Klavier konstruiert hat, ein mechanisches, wohlgemerkt, kein elektronisches. Und das kann Vierteltöne erzeugen. Ein Piano Oriental. Die Idee lebt also.
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