Comeback des Blumenkleids: Sex, Macht, Blume, Königin
Gut gelaunt, niedlich und beliebt: Das Blumenkleid ist zurück. Ist das Venuskult oder Ausdruck eines neuen Biedermeiers?

Eine Freundin, die in Norwegen lebt, muss am Telefon über das Blumenkleid lachen. Ja, sie habe es auch bemerkt, wie beliebt es gerade sei. Überall Leute in Blumenkleidern, oft auch in langen, großformatig geblümten Röcken. Sie selbst besitze ein einziges, sagt sie. Über zehn Jahre habe sie es immer wieder mit ihm versucht. „Ich wollte auch mal niedlich aussehen“, sagt meine schöne Freundin Andrea. Richtig zusammengekommen seien sie und das Kleid aber nie. Mir geht es ähnlich. Mein Blumenkleid ist allerdings gute 40 Jahre her. Meine Mutter hatte es ihrer 17-jährigen Tochter gekauft.
Schwierig, dieses Kleid. So gutgelaunt und scheinbar unberührt von allen Krisen, wirkt es seltsam dominant auf mich. Wäre das Kleid ein Mensch, würde ich sein Verhalten passiv-aggressiv nennen. „Ach was, all die Mühe nur meinetwegen?“ So ein Satz, finde ich, wäre typisch für das Kleid.
Erinnern Sie sich zufällig an die Fotos der dänischen Königin Mary mit den Macrons anlässlich des Pariser Staatsbanketts Ende März? Wie begeistert alle waren über Marys langen, zartrosa und weiß geblümten Rock und der weißen, hochgeschlossenen Bluse. Das war ein extrem kalkulierter Look. Eine Prise höfisches Rokoko, dazu ein Touch von Keuschheit. Am nächsten Abend trug Mary zum Dinner im Grandhotel ein knielanges, schwarz-transparentes Kleid mit goldenem Sonnenblumenmuster (oder sind es Chrysanthemen?) und tauschte mit dem Kleid den betont zeremoniellen Spielbetrieb mühelos gegen das moderne Businessfach.
In der Blumensprache des 19. Jahrhunderts hätte die Sonnenblume übrigens Liebe bedeutet, die Chrysantheme auf Glück, Würde oder den Tod verwiesen. Unwahrscheinlich, dass sich unser Blumentrend noch um diese Deutungsarten kümmert. Zu vermuten ist eher ein Interesse am dekorativen und weichzeichnenden Effekt der floralen Muster. Nach dem Motto: Ist das Leben nicht super?
Ehrlich gesagt, ertrage ich die Verlogenheit dieses Kleides nur schwer. Zu behaupten, man wisse, wie eine gute Zeit auszusehen hat! Ein Sommertag, na klar. Familie und Freunde sind da. Die Kaffeetafel ist gedeckt. Nachts der Tanz am Fluss. Privat ist doch alles bestens. Das Sommerkleid lächelt selbstzufrieden, und es ist ihm herzlich egal, ob ihm irgendjemand vorwirft (Vorsicht: Deutung eins), Ausdruck eines neuen Biedermeiers und Beweisstück für die Rückkehr überwunden geglaubter Geschlechtervorstellungen zu sein.
Deutung zwei: Ein Venuskult verursacht die momentane Blumenkleiderliebe. Inspired by GenZ. Der geblümte Ärmel rutscht über die nackte Schulter. Beine und Bauch lassen sich vom Kleid charmanterweise gar nichts sagen. Statt des Eherings gibt es ein paar Tattoos zum Dress. Die Stoffe der Niedlichkeit werden der Prüderie entrissen und eine sehr alte Verbindung zwischen Blume und Lust rückt ins Bild. Das alles ohne jede Provokation. Nein, mitten im schönen Schein soll die Geschichte spielen. Heimlich.
Wie in „Babygirl“, dem Anfang des Jahres gestarteten Film der niederländischen Künstlerin Halina Reijn, in dem die Blumenmuster die zentralen Zeichen sind.
Doch erst der Plot: Romy, eine schöne, erfolgreiche Frau in mittleren Jahren (gespielt von Nicole Kidman) trifft auf Samuel, einen jungen Mann (Harris Dickinson), der genauso wie Romys Tochter Isabel (Esther McGregor) und Romys Sekretärin Esme (Sophie Wilde) zur GenZ gehört. Sie alle scheinen in der Liebe über Erfahrungen zu verfügen, die Romy chronisch fehlen. Samuel erkennt jedenfalls die lang unterdrückten Sexfantasien seiner Vorgesetzten sofort. Mächtig, intelligent, immer ein wenig hastig möchte Romy sich selbst entkommen. Beim Sex soll der Wille eines anderen übernehmen, ihr Angst und Hemmung wegbefehlen. Dafür setzt Romy vieles aufs Spiel. Ihre Familie, ihre Ehe mit Jacob (Antonio Banderas), ihre Karriere. Die Gefahr des Ruins gehört zum Kink. Wie die Blume.
Sie fällt nicht sofort auf. Fängt man jedoch an, sie zu suchen, ist sie plötzlich überall: Auf einer Küchenschürze der Lifestylemarke Anthropologie, auf Kleidern (darunter eines von Dries van Noten), auf Vasen, Vorhängen und Stuhlbezügen. Auch auf der Tagesdecke des schäbigen Hotelzimmers, in dem Romy zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Mann einen Orgasmus hat. Ach ja, auf dem Oberkörper des Liebhabers Samuel ist sie ebenfalls, die Vanitasblume des 17. Jahrhunderts, die einst an die Vergänglichkeit des Lebens und der menschlichen Schönheit gemahnte und jetzt die Uhren anhält. Romys Blumen erzählen vom Triumph. Etwas, das nicht lebendig werden durfte, beginnt, gefährlich intensiv zu erblühen.
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Sex, Macht, Blume. Ist das also der aktuelle Fashion-Code: eine Kombination aus Härte und Lust, die mal Camouflage und mal Selbstentgrenzung betreibt? Neu wäre das nicht. Denn das Blumenkleid war im Ausblenden und Zaubern schon immer extrem begabt. Ähnlich wie das Brautkleid, das ebenfalls für alle vernehmlich „Unschuld!“ und „Liebe!“ ruft, womöglich ohne selbst so richtig daran zu glauben.
Deutung drei, meine persönliche Favoritin, weil sie mit Deutung eins (Blumenkleider sind Besserwisser) und Deutung zwei (Blumenkleider sind sexpositiv) sehr gut kombinierbar ist: Blumenkleider sind Opportunisten und erzählen nur das, was ihr Publikum hören möchte. Sie wechseln mühelos von der idyllischen Ordnung zur Ekstase, erzählen von Schönheit und Frieden und machen glauben, dass diese noch immer die beste aller Welten ist. Dafür werden ihre Auftritte geliebt und bewundert.
Wie gesagt, Königin Mary hatte es uns in Paris vorgemacht und eine der Blaupausen für den Trend geliefert, der jüngst, und zwar in der ihr eigenen stürmischen Weise, auch von Julia Klöckner geteilt wurde. Großformatig die Blumen, geschlossenes Dekolletee. Die dänische Königin hätte das gefliederte Tageskleid, in dem die Bundestagspräsidentin auf dem Sommerfest der CDU in Koblenz erschien, vermutlich trotzdem ein wenig zu laut gefunden. Zu viel meinungsstarke Fröhlichkeit ist nichts für Mary, die ihrerseits ziemlich gut die Schwester von Romy hätte spielen können. In „Babygirl“ wäre sie die hochmoralische und noch ein bisschen strengere, noch ein bisschen erfolgreichere Schwester gewesen. Eine Figur, die das Wort Schwäche nicht einmal mehr buchstabieren kann.
Am Pariser Hof wurde Mary indes als Blütengöttin Flora gefeiert. Sie habe den Frühling eingeläutet, hieß es auf adelswelt.de, und es fehlten bloß noch die Rosen, die sie beim Sprechen hätte ausatmen müssen. Wäre sie denn eine Göttin.
Aber, und das nur ganz zum Schluss, Menschen sind keine Göttinnen, und eben schon gar keine Blumen. Und falls ein solcher Wechsel der Gestalt doch einmal vorkommt, dann allerhöchstens für die Dauer eines Songs. Als Elton John 1997 in Westminster Abbey für die tödlich verunglückte Lady Diana „Goodbye, England’s Rose“ sang, war es fast so weit. Die tote Prinzessin schien sich, ähnlich wie Narziss und Hyakinthos im Mythos, in eine Blume zu verwandeln. Nach wenigen Minuten war das Lied vorbei.
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